Woche 3 – Psychiatrie

Unmerklich erst, doch mittlerweile eindeutig – der Frühling grüßt uns. Er hat Freude daran uns mit seinen Sonnenstrahlen sanft zu küssen, seine Winde uns anzutragen, sich uns Jahr für Jahr schüchtern erst, dann deutlicher, vorzustellen.
Auch hier hat der Frühling Einkehr gehalten. Man merkt es mit jeder Brise, die durch die halb vergitterten Fenster weht.
In der Visite gestern war wieder der Chefarzt da. Er hatte das Wort und beschloß meine Medikamente leicht zu verändern. Mal sehen wie sich jetzt die Ängste entwickeln. Was die Stimmen machen. Ich bekomme weiterhin Olanzapin und Abilify. Eigentlich wollte man das Olanzapin absetzen – davon ist man jetzt weggekommen.
Dafür ist der Druck zu schneiden sehr groß. Zum Glück habe ich kein „Werkzeug“ zur Hand. Sonst wäre es sehr schwer für mich, zu widerstehen.
Der Klinikalltag geht ansonsten seinen Gang. Ich habe nur wenige Therapien am Tag. Handwerk gibt es auch seltener. Das sorgt manchmal schon für Langeweile.
Am Wochenende darf ich höchst wahrscheinlich wieder von 8-20 Uhr nach Hause. Das freut mich und ich kann es kaum erwarten.

Ablenkung und Origami

Ich gebe zu, ich hatte eine negative Einstellung gegenüber der Psychologin auf Station. In der ersten Sitzung hatte ich kaum Wille, mitzuarbeiten und habe mir keine Mühe gegeben, zu erklären, wie es mir geht. Verhaltensanalysen waren ein rotes Tuch für mich und ich weigerte mich, jedes Mal eine auszufüllen, wenn ich mich selbstverletzte. Was in letzter Zeit ziemlich oft vorkam. Gestern musste ich wieder eine schreiben, aber ich tat es eher für den Pfleger, der mich gestern nett versorgte als für die Psychologin. Heute hatte ich ein Gespräch mit ihr. Und es lief wider Erwarten echt gut. Wir haben richtig gut miteinander geredet und nicht gegeneinander, sie hat gute Vorschläge für Alternativen genannt, sie reagierte gut auf meine Anspannung, die ich mit ins Gespräch gebracht habe…es war ein echt gutes Gespräch, das muss ich sagen. Wir haben sogar jeder so viel Vertrauen gezeigt, wie möglich. Ich soll in mein Tagebuch schreiben, was ich alles schaffe (und nicht, was ich nicht kann, was ich nicht schaffe) und es nächste Woche zeigen. Damit habe ich sogar kein Problem, auch wenn das Tagebuch etwas sehr intimes ist. Aber ich bin gewillt, das zu machen.
Zum skillen und ablenken hat sie mir ihr Origami-Buch mit einigen Blättern ausgeliehen. Ich kann nicht falten. Meine erste 5 in der Schule hatte ich in der 3. Klasse Werken-Unterricht, weil ich kein Schiffchen falten konnte. Meine Aversion wurde aber besiegt… seht selbst.
wpid-cymera_20150407_105930.jpg
(Zu sehen ist ein Becher und eine Zikade)
Damit war dann das Eis gebrochen.
Gestern, als der Dienstarzt noch mal auf die Wunden geschaut hat, bevor diese mit Steristrips geklammert wurden, meinte die Ärztin, dass das Suizid auf Raten sei. Das hat gesessen. Mir war es ungeheuer peinlich, versorgt zu werden. Ich weiß nicht mal genau, weswegen. Ich mache das sonst immer selbst. Aber diesmal wurden die frischen Wunden entdeckt, weswegen ein Pfleger sich gleich drum gekümmert hat. Seinetwegen habe ich gestern auch endgültig meine Klinge abgegeben…es war ein wichtiger, aber dennoch schwerer Schritt.

Worte

Ein Pfleger kommt, geht an mir vorbei und betrachtet meine Arme geringschätzig. „Na, sieht ja gut aus.“


Ich muss mit der Dienstärztin reden, ob ich in den Ausgang darf. Sie redet mit meinen Eltern.  „Passen Sie auf Anna auf, denn sie ist ja schon auffällig.“


Worte können verletzen…

Tagesurlaub

In der Visite am Mittwoch habe ich die Erlaubnis auf Tagesurlaub bekommen. Ich freue mich natürlich, endlich mal wieder die Klinik verlassen zu dürfen und auch das Gelände hinter mir zu lassen, indem ich mich sonst nur bewegen darf. Andererseits ist der Tagesurlaub auch mit Angst gepaart. Vor allem das Straßenbahn fahren fällt mir sehr schwer. Die Blicke der anderen lässt mich oft dissoziieren, sodass ich nicht weiß, wie ich überhaupt nach Hause gekommen bin. Das ist sehr erschreckend. Oder ich bin so misstrauisch das ich wieder denke, jeder findet mich abstoßend. Die Angst davor scheint nie weg zu gehen…
Aber es hat auch etwas gutes. Ich kann zu Hause bei meinen Ratten sein, mit meinen Eltern Kaffee trinken und mich ein wenig entspannen. Ich kann Musik hören, habe meine Ruhe vor den Pflegern, muss dafür selbst an meine Tabletten denken und mich um meinen eigenen Kram kümmern.
Morgen fahre ich sogar nach Hause, also nach Hause-nach Hause, nach Mülsen. Zwar nur für einige Stunden, aber besser als nichts. Früh nehmen mich meine Eltern mit und abends die Eltern von André (nicht wieder darüber lachen!). Ich freue mich mit Jasmin und ihren Kindern, meiner großen Schwester, und meiner Oma Ostern zu feiern. Da kann ich für kurze Zeit dem Klinikalltag entfliehen.
Montag ist allerdings wieder ein Tag, wo ich darauf warte, dass die Stunden vergehen…weil ich keinen Urlaub bekommen habe und Feiertag ist. Aber ich bekomme nachmittags Besuch von André. Dafür lohnt es sich zu warten.

„Lieber Matz, dein Papa hat ’ne Meise“ von Sebastian Schlösser

image
Briefe, die berühren. Was als Geschichte über die Arbeit am Theater beginnt, die Schlösser seinem Sohn erklärt, wird nach und nach ein Bericht, wie es zur bipolaren Psychose kam. Welche Unsinnigkeiten er während der Manie ausgeführt hat, wie er in verschiedenen Krankenhäusern war, all das berichtet er liebevoll seinem Sohn Matz. Dabei nennt er seine Krankheit „Meise“, die Psychiatrie „Wolkenkuckucksheim“ und die Psychopharmaka „Meisensmarties“.
Ein weiterer Fund in der Bibliothek. Ein sehr gelungener Bericht über die bipolare Störung und wie schwierig es ist, über begangene Fehler zu stehen.

II – Woche 2 – Psychiatrie

Die Tage vergehen, aber sie sind zäh und alles zieht sich in die Länge. Alle Zeit der Welt hat man hier und das wird einem ab und an zum Verhängnis.
In der Visite wurde nichts neues besprochen. Außer das das Venlafaxin auf stolze 450mg erhöht wurde. Das Olanzapin wird vielleicht ganz abgesetzt. Aber das wird langsam geschehen, Schritt für Schritt.
Mit meiner Zimmerkollegin komme ich in letzter Zeit sehr gut zu Recht. Sie ist schon etwas älter und hat ähnliche Interessen wie ich. Zusammen redet man also über gute Literatur wie über den Autor Paulo Coelho, Esoterik, das Leben und übers Theater. Auch wenn manche nicht daran glauben wollen (oder können), wir haben sogar zusammen gependelt und damit schwierige Entscheidungen gelöst. Das war eine ganz besondere Erfahrung.
Heute hatte ich wieder Gruppentherapie in der Skillgruppe. Über Skills habe ich in meinem Info-Beitrag zur Selbstverletzung bereits geschrieben. Da das aktuell wieder ein Problem ist, soll ich in der Gruppe erneut mitmachen. Auch bei meinen letzten Aufenthalten war ich Mitglied in den verschiedensten Skillgruppen. Auch in der KJP. Bisher habe ich aber noch immer nicht mein Mittel zum Zweck gefunden, um endlich den Kreislauf des Svv zu durch brechen.

Normal

Sometimes I pretend to be normal. But it gets boring. So I go back to being me.

Autor unbekannt
Wie normal man eigentlich ist, stellt man, wage ich zu behaupten, meistens im Vergleich. Ich lehne mich sogar soweit aus dem Fenster, dass ich sage, jeder kennt jemanden, der noch verrückter und damit meine ich unkonventioneller ist, als man selbst.
Auf Station ist es schwierig zu sagen, wer „gesünder“ und damit weniger verrückt ist als man selbst. Natürlich ist es bei einigen eindeutig, wo ihre Verrücktheit liegt. Sein es Wutausbrüche vor der Essensausgabe, Selbstgespräche auf dem Gang oder andere offensichtliche Verhaltensweisen.
Eines kann ich aber mit Sicherheit sagen: wir alle weichen irgendwo von der Allgemeinheit ab und sind irgendwo verrückt. Und das ist auch gut so.

I – Woche 2 – Psychiatrie

6:30 Uhr heißt es aufstehen, anziehen. Frühsport. Dann: Frühstück. Müde torkle ich auf meinen Platz zu den anderen Frauen, mein Tablett vor mir und die Augen halb geschlossen. Jeden Tag dasselbe Spiel, nur am Wochenende erlassen sie uns den Sport.
Wochenende auf Station bedeutet vor allem eins – warten. Warten, warten, warten. Bis es Essen gibt. Bis der Besuch kommt. Bis er wieder geht. Bis Nachtruhe ist. Am Wochenende ist man in diesem Menschenzoo gefangen, wenn man nicht alleine raus darf. So wie ich. Das einzig spannende was passiert sind die Fütterungen. Ansonsten gibt es nichts, was einen hält. Mit dem Besuch, der die Monotonie unterbricht, darf ich hinaus gehen. Es tut gut das Wetter zu spüren, Hitze, Kälte, Regen. Einfach wieder etwas freier zu sein. Ins Café zu gehen. Den Menschenzoo zu verlassen.
Dann fängt die Woche wieder an. Montags ist Visite. Die Ärztin ist nicht da, sodass die Psychologin und der Pfleger die Visite veranstalten. Es wird kurz gefragt. Wie geht’s Ihnen?  Haben Sie noch Fragen? Mein Ziel benennt die Psychologin direkt: das ich zu den Therapien gehe.
Wir reden für fünf Minuten. Darauf wartet man den ganzen Tag.
Handwerk bzw. Ergotherapie vertreibt die Langweile. Ich webe wieder ein Sitzkissen. Auch hier wird gefragt, wie es mir geht.
Ich weiß nicht genau, antworte ich. Ich weiß es einfach nicht.

„Als auf Oscars Bauch ein Raumschiff landete“ von Lauren Slater

image

Psychische Gesundheit heißt nicht, die Schmerzen verschwinden zu lassen.

Seite 181
Ich habe das Buch ganz zufällig in der Krankenhaus-Bibliothek gefunden. Beim rumstöbern im Psychologie-Abteil stand es umringt von „Ich haße dich – verlass mich nicht“ und anderen Büchern über psychische Erkrankungen. Der Titel klang interessant, sodass ich das Buch letztendlich mitnahm.
Die Psychologin Lauren Slater beschreibt in sechs Kapiteln ihre Erfahrungen mit Schizophrenenen, Borderlinern und Depressiven. Mit poetischer Sprache zeigt sie auf, wie sie die Arbeit mit ihren Patienten gestaltet, geht dabei auf unerwartete Situationen ein und letztendlich klärt sie auf, was dem Patienten letztendlich gefehlt hat. Dabei kommt immer wieder zum Vorschein, dass sie selbst psychisch krank war (Anorexie und Borderline) und es dennoch geschafft hat, ihren Doktortitel zu erreichen.
Ein Buch, das Hoffnung schenkt. Das aufzeigt, dass man trotz Erkrankung stabil und gesund werden kann. Das man einfach immer weiter machen soll..

II – Woche 1 – Psychiatrie

Die Tagen vergehen so schnell in letzter Zeit,  dass ich nicht mitbekomme, welchen Tag wir haben oder wie lange ich schon auf Station bin.
Die Depression hat mich wieder voll im Griff, ich bin eigentlich nur am schlafen und im Bett liegen. Einerseits weiß ich, dass das nicht gut ist. Andererseits habe ich noch keinen Therapieplan, kann de facto also noch keine Therapien machen. Das bringt mich natürlich in eine Zwickmühle. Ich kann nur hoffen, das der Plan so schnell wie möglich fertig ist und ich nicht weiterhin warten muss.
Mir fällt das Denken und Reden schwer…die Konzentration ist auch nicht so gut, geschweige denn die innere Ruhe. Ich kann noch nicht sagen ob es mir besser geht oder ob das psychotische besser geworden ist. Ich bin immer noch in meinem Kopf gefangen.
Das Wochenende werde ich hoffentlich Besuch bekommen. Raus darf ich nicht alleine und Ausgang nach hause habe ich auch keinen. Aber irgendwie wird das schon.