Nebelzeit, dritter Teil

Es vergingen Monate, bis ich den ersten Termin der Familienberatungsstelle hatte. Die Sozialarbeiterin, die damals mit mir redete, nutzte viele verschiedene Mittel um meinen Unmut erklärt zu bekommen. Ich sollte Tiere aufstellen und daran erklären, wie ich meine Position innerhalb der Familie sehe. Sollte offen reden über das Mobbing, die Selbstverletzung und die Suizidgedanken. Schon bald wurde der Sozialarbeiterin, Fr. H., klar, dass ich suizidal war und das mir die Termine im Abstand von zwei Wochen nicht reichten. Sie empfahl meinen Eltern, mich in die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Heinrich-Braun-Klinikums zu überweisen. Dazu brauchte ich eine Einweisung meines Hausarztes. Einige Tage später saß ich auf der Liege der Ärztin, rutschte nervös hin und her. Sie sah sich meine Arme an. Redete mit mir über meine Suizidgedanken. Damals wollte ich mich mit der weichen Methode, einer Tablettenüberdosis, vorzugsweise mit freiverkäuflichen Medikamenten, umbringen.
In der Zwickauer Klinik kam ich in das Akutzimmer, ein Zimmer mit Kameraüberwachung. Es war eine offene Station. Zuerst kam ich überhaupt nicht damit zurecht, in einem psychiatrischen Krankenhaus zu sein. Aber die Isolation von meiner Schule, in der ich weiterhin gemobbt wurde, tat gut. Aber ich war immer noch schwer depressiv. Damals, 2010, mit 14 Jahren, nahm ich mein erstes Antidepressivum, das gut anschlug. Ich begann wieder zu leben. Ich fand in der Klinik Freunde. Vor allen ist Sarah, meine erste Zimmernachbarin und Mitpatientin, zu nennen. Bis heute sind wir befreundet.
Langsam lernte ich wieder, das Leben als solches zu akzeptieren. Mit meinem Schicksal abzuschließen. Im November wechselte ich die Schule, nach Zwickau in das künstlerisch-musisch orientierte Clara-Wieck-Gymnasium. Damit begann für mich eine neue Epoche meines Lebens. Ab dem ersten Tag in der Klasse wurde ich angenommen, so wie ich bin. Kleinere Streitigkeiten und Probleme gab es auch hier, aber kein Mobbing. Ich fühlte mich wohl. Meine Depressionen verschwanden zwar nie ganz, denn ich war gezeichnet von den Erfahrungen in der Glauchauer Schule. Im Februar 2011 wurde ich entlassen.
Auszug einer weiteren E-Mail an Fr.Z., meine ehemalige Klassenlehrerin.

Ich selbst kann es mir nicht erklären, wie so etwas geht. Mit vierzehn Jahren eine solche Trauer, einen solchen Hass auf das Leben. Um ehrlich zu sein: Ich könnte es wieder tun. Ich bin am verzweifeln. Am 10. Februar, letzter Schultag, wurde ich entlassen. Ich kann es kaum glauben. Es tat weh. Einfach nur weh. Die letzte Schulwoche habe ich zu Hause verbracht. Ich war nur zwei oder drei Tage in der Schule. Ich war so schwach. Wow. Klingt scheisse wenn ich das so knall hart schreibe. Aber ich kann nicht mehr. Ich muss mich ablenken. Ich kann einfach nicht mehr.
Es ist einfach nur scheisse. Alles. Einfach alles. Ich will und kann nicht mehr. Die scheiss Klingen haben mir die Therapeuten in der Klinik weggenommen. Könnte sie derzeit gut gebrauchen.
Ablenken kann ich mich nicht.
So ein scheiss Leben.
Ich war siebte Klasse, als sie mir Ihre E-Mailadresse gaben, so unbeschwert und kindlich. Naiv. Lebte in meiner rosa Luftballon-Welt. Ein Jahr später : Depression. Suizid. Antidepressivum.
Schulwechsel, Kulissenwechsel. Besserung? No way. Immer noch die selben Probleme. Die Leute dort müssen mir helfen. Ich will weg. Einfach nur weg.
Bevor wieder etwas geschieht. Und dann ist es zu spät.
Ich stehe zwischen Bäumen.
Leben ändert sich.
Nach der Psychiatrie.
Keine Hilfe mehr.
Mehr – kann nicht mehr.
Ein stetiges fliehen.
Aber ich traue mich nicht, diesen Schritt zu tun.
Was soll ich nur machen? Der Tod löst diese Frage auch nicht. Zu viel liegt mir … mir liegt an nichts etwas.
Es ist so sinnlos.
Sinn. Los.

23.02.2011
Diese E-Mail zeigt, wie hospitalisiert ich nach dem Klinikaufenthalt war. Ich wollte um jeden Preis zurück in die Klinik, war immer noch sehr pessimistisch und schlecht drauf. Ich isolierte mich weiterhin und auch die Selbstverletzung wurde nicht besser. Ich hatte weiterhin wöchentliche Gespräche mit dem Psychologen Herr S. aus der Klinik. Dies ging ungefähr ein Jahr weiter, bis ich einen Therapeutenwechsel machen sollte. Denn die Beziehung zu dem Psychologen war aus privaten Gründen ziemlich strapaziert.

Nebelzeit, zweiter Teil

Ich dachte, Ignoranz sei schlimm. Das ich meine Freunde verlor, alleine in der Schule und in der Ausbildung zurecht kommen musste, zehrte an meinen Kräften. Ich begann, mich zurück zu ziehen. Nach der Schule hing ich stundenlang allein in meinem Zimmer, am PC. Das ist für eine Auszubildende als Informatik-Assistent sicher nichts außergewöhnliches. Noch heute verbringe ich überdurchschnittlich viel Zeit vor dem Laptop. Doch damals war es anders. Es lag nicht nur daran, dass ich mich in eine kindliche Traumwelt zurück zog, viele traurige Gedichte und Geschichten schrieb, viel über Gott und die Welt nachdachte. Heute sehe ich dies als Anfang meiner ersten Depression. Wenn die Gedanken kreisen, alles und nichts Bedeutung hat, man in Hoffnungslosigkeit und Angst versinkt. Ich isolierte mich. In der Schule, zu Hause, von Freunden, Familie, von allem. Meine Hobbys machten keinen Spaß mehr. Wenn ich Klavier spielte, dann ohne die Passion, die ich zuvor verspürt hatte. Wenn ich zeichnete, dann sehr dunkle, traurige Bilder, in denen sich junge Mädchen verschiedenes antun. Ich schrieb ziemlich deprimierende Gedichte. Ich erinnere mich an einen Text, den wir im Ethik-Unterricht lesen sollten. Dabei ging es auch um ein Mädchen, welches ziemlich schlecht drauf war, aus dem Fenster in den Regen schaute und sich nach dem Sinn des Lebens fragte. Ich konnte mich damals so mit diesem Text identifizieren, dass ich ihn bis heute nicht vergesse. In Musik sangen wir damals „Mad World“ von Gary Jules. Auch das wurde für mich als Zeichen meiner Depression.

Went to school and I was very nervous
No one knew me, no one knew me
Hello teacher tell me, what’s my lesson?
Look right through me, look right through me
And I find it kind of funny
I find it kind of sad
The dreams in which I’m dying are the best I’ve ever had
I find it hard to tell you,
I find it hard to take
When people run in circles it’s a very, very
Mad world, mad world, enlarging your world, mad world

Einige Wochen vergangen, in denen ich mich in ein Schneckenhaus zurückzog. Aus diesem sollte ich mehrere Monate, Jahre nicht hervor kommen.
Dann begann das Mobbing. Mit meiner Sonderstellung, die ich zuvor eingenommen hatte, konnte ich mittlerweile ganz gut leben. Ich akzeptierte mein Schicksal, nahm es hin ohne zu hinterfragen, was es für mich bedeuten könnte. Zuerst wurde ich in Gruppenarbeiten gemieden. Aber das war ja nichts Neues mehr für mich. Irgendwann wurden die Pausen nicht mehr nur einsam. Ich saß mittlerweile immer allein in der Ecke. Doch das änderte sich. An die Tafel wurde immer öfter „MIIIEP“ geschrieben. Das war ein Zeichen für mich. Es bedeutete „Gegen Anna“ in der Sprache meiner Mobber. Außerdem sang man Lieder über mich. Zum Beispiel das Lied von Polarkreis 18 „Allein, allein“. Denn das war ich. Allein. Einsam. Dann fand man es lustig, mich mit kleinen Kugeln aus Alufolie zu bewerfen. „Hey, Miiiep!“ – zack, warf man mir die kleinen Kügelchen ins Gesicht, in denen zuvor die Butterbrote meiner Mitschüler verpackt waren. Auf dem Schulhof gab es Bereiche mit Kies. Auch den warf man mir entgegen, kippte man mir in die Anziehsachen oder in meine Schultasche. Vor dem Unterricht wurden meine Hefter oder Schulbücher versteckt. In den Pausen begann ich, mich zu verstecken. Vorzugsweise auf Toilette. Eingesperrt verbrachte ich diese quälenden Zeiten. Meine Lehrer bekamen nichts mit – und wenn sie etwas mitbekamen, dann schwiegen sie darüber.
Irgendwann Anfang 2010 dehnte sich das Mobbing aus. Über die sozialen Netzwerke Schüler-vz oder Schüler-cc bekam ich immer öfter Mails geschrieben, die mich beleidigten.
Auch fing man an, mich mit anderen Gegenständen wie Schulbüchern zu bewerfen und zu schlagen. Hinzu kamen noch die Hinweise, dass ich mich umbringen soll. In Form von Tabletten, die man auf meinem Sitzplatz hinter ließ oder indem man in höheren Etagen hinter mir stand und „Spring! Spring! Spring!“ rief, setzten mich meine Peiniger unter Druck. Wieder bekamen die Lehrer nichts mit und ich hatte zu viel Angst, um selbst etwas zu sagen. Auch meinen Eltern sagte ich nichts. Ich ließ alles über mich ergehen, ob der Hoffnung das das Ganze irgendwann ein Ende nähme.
Eine der Hass-Mails:

DU hast Freunde? Meine Antwort: streber, behinderte und idioten. kann sein.
ICH darf hier meine Meinung nicht äußern? Anna, fick dich. Das ist ein freies Land da kann ich sagen was ich will und wenn ich dich sonstewie damit verletze du kleiner möchtegern Emo.
Was du auch nich mitbekommst is, das das hier ernst ist.Aber sieh es ruhig lustig, da hast du wenigstens vor dem Beginn des 2. Halbjahres noch was zu lachen. Denn danach wirst du nichtmehr lachen.
Und deinen hässlichen Brillenkinder-Freundinnen, mit denen du Nachmittags die „Wendy“ liest, und „Janine auf dem Pferdehof“ auf dem Gameboy spielst, kannst du ausrichten das die uns alle mal kräftig am arsch lecken können.

18.02.2010
Daraufhin begann ich, mich selbst zu verletzen. Zu erst waren es kleine, rote Striemen am Unterarm. Später steigerten sich die Wunden, bis meine Arme, der Bauch und die Beine voller Narben waren.
In einer E-Mail an meine ehemalige Klassenlehrerin Fr. Z. schrieb ich damals:

Ich muss mich echt überwinden, diese Mail zu schreiben! Denn sie haben nun live miterlebt, wie ein fröhliches Kind zu einer depressiven Jugendlichen wird. Ob Ihnen das bis jetzt klar geworden ist, das ich Depressionen habe, ist zu bezweifeln, aber Sie kennen die Gründe, und ich habe sie ja meistens etwas länger geschildert.
Depressionen sind in der Jugend ja keine allzu seltenen Sachen mehr! Ich kenne einige, die darunter leiden. Und ich bin selber leider depressiv geworden, und gehe auch bald in Therapie. Dazu kommt mein ungeheurer Masochismus. Der hat sich allerdings noch verschlimmert, bin leider auch unter die ritzsüchtigen gegangen, deswegen Therapie – und Familienberatung.

19.05.2010

I – Woche 17 – Tagesklinik

Nun ist es soweit. In einer Woche werde ich entlassen. Nachdem ich das Wochenende seit längerer Zeit mal wieder zu Hause, in der Heimat, war, werde ich meine letzten Tage in der Tagesklinik beginnen.
Manche Therapien werde ich definitiv vermissen, auf andere kann ich hingegen durch aus verzichten. Dabei muß ich unter anderem an die Körperübungen der Tanz- und Musiktherapie denken. Das ist einfach nichts für mich. Ich fühle mich bei solchen Dingen einfach unwohl.
Die Gespräche bei dem  Psychologen der Tagesklinik waren auch sehr hilfreich. Besser, als die Psychologen der anderen Stationen. Ich bin ihm dafür sehr dankbar, da mich die wenigen Stunden, die ich bei ihm hatte, sehr viel weiter gebracht haben.
Dafür war die Visite heute recht sinnlos. Ich habe meine derzeitigen Probleme  dargelegt, jedoch bekam ich nur Standard-Antworten und den Hinweis, einfach weiter an den Therapien Teil zu nehmen.
Heute war Entspannung in Form von Progressiver Muskelrelaxation nach Jacobsen. Leider hatte ich im Kopf keine Ruhe und wurde ständig beim Namen gerufen. Manchmal sind die Stimmen recht einfallslos. Genau so war es im Kino. Ich hatte einfach keine Ruhe. Mittlerweile geben sie mir Gedanken als eine Art „Kommentare“ oder Hinweise. So durfte ich mir anhören, dass ich mich nicht so haben soll. Oder auch, dass ich mir doch einfach die Pulsadern aufschneiden soll. Na Danke.
Ich kam heute zu spät in die Tagesklinik, weil ich zum zweiten Mal verschlafen habe. Hoffentlich steht das nicht im Arztbrief wie bei meinem ehemaligen Mitpatienten D. Bei ihm wurde seine „mangelnde Bereitschaft an den Therapien“ daran gemessen, obwohl er einfach Depressionen hatte und es ihm schwer fiel aus dem Bett zu kommen. Manchmal sind die Ärzte schon sehr frech, wenn es um die Arztbriefe geht. Man kann nur hoffen, dass meiner „netter“ wird.

Nebelzeit

Ich habe bereits einen Blogbeitrag mit dem Titel „Der Beginn“ geschrieben. Darin schilderte ich den Anfang meiner schizophrenen Psychose. Aber eigentlich begannen meine psychischen Probleme schon viel zeitiger. Dabei kann ich nicht abschätzen, wann „normales“ Verhalten aufgehört hat und „krankes“ Verhalten begonnen hat. Ich kann nur noch rückblickend sagen, wie es in meiner Erinnerung ist.
Damals, vor 6 Jahren, war ich ein ziemliches normales, wenn auch störrisches Mädchen, dass sich gerade im Übergang zur Pubertät begann. Die ersten Pickel, der erste Liebeskummer, die Umwandlung des eigenen Körpers – alles Baustellen, die seit jeher für junge Mädchen schwierig sind, für Heulkrämpfe und Nervenzusammenbrüche sorgen, die Freundinnen strapazieren und die Beziehung zu den Eltern auf eine harte Probe stellen. Ich kam gerade in die achte Klasse. Dies war etwas ganz besonderes, denn ich nahm an einem „Experiment“ des Freistaates Sachsen teil, das Schülern ermöglichen sollte, während der Schulzeit eine Ausbildung zum Assistent für Informatik zu machen. Die neue Klasse, in die ich kam, war eine bunte Mischung aus den anderen 4 Klassen. Nur wenige kannten sich, der Rest war sich unbekannt. Auch ich kam ohne bestehende Freundschaften in diese neue Klasse. Die ersten Wochen liefen richtig gut. Ich fand neue Freunde, machte viele Späße, alberte in den Pausen rum und strapazierte die Lehrer. Leider ging es zu dieser Zeit meiner Großmutter, zu der ich eine ganz besondere Beziehung hatte, körperlich sehr schlecht. Aber ich konnte diese negativen Schwingungen gut abfangen, denn es lief dafür in der Schule super. Auch hatte ich richtig Spaß am Klavier spielen, was mir zuvor eher Schwierigkeiten bereitet hatte. Ich zeichnete mehr und wurde immer besser. Kurzum – der schwierige Start in die Pubertät gelang mir mit einem guten Gefühl.
Eines Tages, im Oktober, war ich auf der Geburtstagsfeier einer Freundin aus meiner neuen Klasse. Es war so eine typische Jugendlichen-Feier, mit Flaschendrehen, dem ersten Bier (welches eklig schmeckte) und allerlei anderem Quatsch. Außerdem war F. dabei – mein damaliger Schwarm, viel größer als die anderen Jungs, sarkastisch und ein typischer Cliquenleiter. Irgendwie kam an diesem Abend heraus, das ich für F. schwärmte. Und ich wusste nicht, welche Konsequenzen das nach sich ziehen sollte. Die Freundin, die Geburtstag hatte, wurde an diesem Abend eher ignoriert, als das man sie feierte. Es zeigte sich, dass die Anderen eher nur zum Spaß zu ihr gekommen waren, sie ausnutzten. Das erzählte ich ihr einige Tage später. Leider verstand sie nicht, dass ich sie nur warnen wollte, gar schützen. Denn sie fasste es als Beleidigung auf.
Dann starb meine Großmutter. In dieser ziemlich komplizierten Zeit des Erwachsenwerdens, der Selbstfindung und Verwirrung brach eine Stütze weg, auf die ich zuvor gebaut hatte. Und auf diesen Schock hin wurde ich krank. Zog mich zurück, bekam eine schwere Grippe. Zwei, vielleicht auch drei Wochen ging ich nicht zur Schule.
Als ich danach wieder kam, war alles anders.
Meine „Freunde“, die ich einige Wochen zuvor noch hatte, ignorierten mich. Wandten sich von mir ab. Redeten nicht mehr mit mir. Ich verstand die Welt nicht mehr. Eigentlich hätte ich jemanden zum reden gebraucht, denn es war schon schwer genug, mit dem Tod einer so nahestehenden Person klar zu kommen. Doch diese Abneigung, die scheinbar aus dem Nichts kam, war unerklärlich für mich. Das dies alles mit dieser seltsamen Geburtstagsfeier zusammen hing und inwieweit meine Schwärmerei, die Sorge um die Freundin und alles andere dafür gesorgt hatte, wusste ich nicht. Bis heute kann ich nur annähernd sagen, was genau geschehen war. Schließlich konnte ich danach mit niemanden mehr reden. Deswegen ist dies ein Punkt, der sehr von Nebel umschleiert ist. Der unfassbar, unbegreiflich ist. Es tut aber nichts zur Sache. Von einem aufs andere Mal, innerhalb von wenigen Wochen war ich von einem taffen, gut integrierten Mädchen zur Aussenseiterin der gesamten Jahrgangsstufe geworden. Ich dachte, dass sei das Schlimmste, was mir passieren konnte. Hätte ich in die Zukunft sehen können, wäre mir bewusst geworden, dass es noch schlimmeres als Ignoranz gab.

Herr Doktor, Herr Doktor!

Nachdem ich gestern Abend Günther Jauch – Das lange Warten auf den Arzttermin angesehen habe, geht mir das Thema nicht mehr aus dem Kopf. Schließlich bin ich auch chronischer Arztbesucher, habe leider schon oft die Erfahrung machen müssen, dass man nur mit Vitamin B einen Facharzttermin bekommt und sehe mich immer wieder mit langen Wartezeiten konfrontiert. Dies hat vorerst für mich ein Ende -schließlich sorgt man sich in der Psychiatrischen Institusambulanz medizinisch um mich- aber für viele psychisch Kranke ist dieses Thema noch immer ein Problem.
Wenn sich depressive Symptome verschlimmern, die Panikattacken häufiger kommen oder erstmals Stimmen auftauchen ist guter Rat teuer. Häufig verweisen Freunde, Bekannte und natürlich der Hausarzt an Spezialisten, in diesem Fall an Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie. Das es eine Ärzteflucht vom Land gibt, ist bekannt. Das die Ärzte im allgemeinen immer älter werden und viele Studenten der Medizin ihr Studium abbrechen, ebenso. Doch auch der Fachärztemangel macht sich mittlerweile in unseren Reihen breit. Vor allem im psychiatrischen Bereich ist dies fatal. Schließlich gehören Symptome wie Suizidalität oder Selbstverletzung zu vielen unterschiedlichen behandlungsbedürftigen Störungen. Und sie können dafür sorgen, dass der Termin, auf den man Monate wartet, niemals wahrgenommen wird…
Man darf schlichtweg nicht unterschätzen, dass auch psychiatrische Erkrankungen lebensgefährlich sein können. Ob Kardiologe, Orthopäde oder Neurologe – es leuchtet ein, dass ein zu langes Warten zu letalen Ausgängen von scheinbar harmlosen Symptomen führen kann. Bei psychischen Erkrankungen sieht es hingegen anders aus. Einige Fakten – Im Jahr 2010 starben 7.000 Menschen mit Depressionen wegen Selbsttötung. 15% der Magersüchtigen sterben. Ebenso sterben 10-15% der Schizophrenen durch Suizid.
Auch ich musste, als ich nach Dresden gegangen bin, zu vier verschiedenen Ärzten in der näheren und weiteren Umgebung. Alle nahmen keine neuen Patienten auf, bis ich einen Arzt fand, der seine Praxis erst neu eröffnet hatte und demnach noch freie Kapazitäten besaß. Hätte ich auf einen Termin beim Facharzt warten müssen, weiß ich nicht, was noch passiert wäre. Wahrscheinlich hätte ich mich noch mehr in die Psychose hineingesteigert und wäre noch weiter aus der Realität geflohen. Und ich bin in diesem Punkt kein Einzelfall. Auch das Warten auf einen Therapieplatz beim psychologischen Psychotherapeuten zieht sich über Monate hin, nicht selten sogar ein halbes bis ein ganzes Jahr. Damit habe ich leider auch Erfahrungen, bisher hatte ich aber immer das Glück als „komplizierter“ Fall gehandhabt zu werden, weswegen ich ja letztendlich in der PIA gelandet bin.
Quellen
1) Ärztemangel, ArztWiki
2) Tödliche Magersucht, ntv
3) Allianz Deutschland AG (Hrsg.): „Depression – Wie die Krankheit unsere Seele belastet“, München 2011
4) Gesundheitsgesetze, t-online
5) Kabinett beschließt GKV-VSG, BMG

„Bob, der Streuner“ von James Bowen

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Dieses Buch habe ich vor ein oder zwei Jahren zu Weihnachten von meiner Mutter geschenkt bekommen. Ich ließ es ziemlich achtlos liegen und las es nicht, weil ich dachte, dass es mir zu banal sei.  Schließlich las ich sonst nur Hermann Hesse, Georg Büchner oder ähnliche große Autoren. Aber als ich merkte, dass ich einfach nicht mehr in der Lage war mich mit so geistreichen Werken zu beschäftigen, nämlich in der Klinik, wo sich meine Konzentrationsschwäche breit machte, nahm ich es zum ersten Mal zur Hand. Nachdem ich das Buch meiner damaligen Zimmernachberin Hilde ausgeliehen hatte, las ich es selbst.
Bob, ein Kater mit rotem Pelz, trifft auf James, einen  drogenabhängigen Straßenmusiker. Und von Anfang an ist klar, dass es sich bei Bob um meine ganz besondere Katze handelt. James pflegt ihn gesund und versucht danach, der Katze wieder ihren Freiraum zu geben. Doch Bob bleibt als Freund, Leidensgenosse und Kumpan beim täglichen Kampf ums Überleben an James Seite.
Die Sprache des Romans ist recht einfach, weswegen es sich gut lesen lässt. Es bringt viele Eindrücke vom Leben auf der Straße, von Drogenabhängigkeit und einer ganz besonderen Freundschaft dem Leser näher.
Mein erster Eindruck hat sich demnach nicht bestätigt. Zwar ist es wirklich einfach zu lesen, aber das tut der Qualität des Romans keinen Abbruch. Es gibt noch einen zweiten Teil des Bestsellerromans, den ich, als Fan von Bob, definitiv auch lesen werde.

Über die Verfolgung psychisch Kranker – #BloGeHa

Dieser Beitrag ist ein Teil der Blogparade von Sarah Maria.
Nicht nur, weil ich in der Pegida-Stadt Dresden wohne, geht mir dieses Thema sehr nahe. Nicht nur, weil ich bekennend linkspolitisch bin, weil ich mich sehr für Politik und Geschichte interessiere, weil ich jeden Menschen liebe, dem Werte wie Akzeptanz, Offenheit und Freude am Leben liebe. Nicht nur, weil ich möchte, dass diese Welt, unsere Welt bunt bleibt. Sondern aus dem Wissen heraus, was mit mir geschehen wäre, wäre ich einige Jahrzehnte eher geboren.

Die Geschichte der Euthanasie (Fremdwort, gebildet aus altgriechisch εὖ „gut“, „schön“ und θἁνατος „Tod“) ist stark durch die Zeit des Nationalsozialismus geprägt, in der Morde unter dem Vorwand der „Rassenhygiene“ ebenfalls und täuschend als Euthanasie bezeichnet wurden.

Ich war in meinem bisherigen Leben schon drei Mal wegen psychischer Erkrankungen im Krankenhaus. Früher hätte man „Irrenanstalt“ dazu gesagt und sich Menschen vorgestellt, die lallend in einem sterilen Gang sitzen, sich hin- und herwiegen, mit sich selbst reden und den „Gesunden“ verstörende Blicke zuwerfen. Man kennt diese Klischees und bis heute sind die meisten Menschen wenig aufgeklärt, wie der Alltag und das Leben in einer Psychiatrie abläuft. Doch Kranke wegzusperren, sie in Irrenanstalten von den „Normalen“ abzugrenzen reichte nicht. Unter der Aktion „T4“ wurden im nationalsozialistischen Deutschland knapp 200.000 psychisch Kranke ermordet.
Lebensunwertes Leben. Schon allein dieser Begriff schleudert einem die volle Abartigkeit dieses Systems entgegen.
Was wäre mit mir passiert? Hätte man mich schon mit 14 Jahren, als ich zum ersten Mal in der Psychiatrie war, aus meiner Familie genommen, mich in einem Heim, einer Heilanstalt oder in einem Lager untergebracht? Wäre ich bereits als Kind ermordet wurden oder hätte ich bis zum Ausbruch meiner Psychose im jungen Erwachsenenalter gewartet? Schizophrene Menschen hatten es noch nie einfach. Weder vor den Gräueltaten der Nazis, noch währenddessen und auch heute noch gibt es viele Stigmatisierungen psychisch Kranker. Aber „T4“ zeigt, was geschehen kann, wenn man in Klassen denkt. Wenn man der Meinung ist, dass ein Leben weniger wert ist als das andere.
Ich bin selbst „seelisch behindert“, „psychisch krank“,“verrückt“. Anders. Einfach anders, wie meine Gleichaltrigen, Kommilitonen, Familienmitglieder. Aber auch alle anderen sind irgendwo anders. Ob es nun um Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Behinderungen oder andere Erkrankungen geht. Ich habe viele Bekannte und Freunde, die anders sind. Meine Klassenkameradin, die eine dunkle Hautfarbe hat. Mein Freund, der schwul ist. Viele Bekanntschaften aus der Psychiatrie, die „Borderliner“ sind, Depressionen oder Angstzustände haben. Und ich, ich bin psychotisch. Wir alle unterscheiden uns von einander.
Man kann nur mutmaßen, was aus mir geworden wäre, wäre ich vor mehr als 75 Jahren geboren. Aber eines steht fest – das es nie wieder soweit kommen darf. Das es nie wieder etwas vergleichbares geben soll. Und wenn ich sehe, wie tausende Menschen gegen „Andere“ demonstrieren, weil sie Angst haben, dann bekomme auch ich Angst. Denn es ist nur ein kleiner Unterschied, wer „anders“ ist und wer nicht. Angefangen bei Religionen wird bald auch jeder Freidenker als anders angesehen. Und dabei sollte man jede Form der Andersartigkeit nicht nur anerkennen, sondern auch als etwas Besonderes, ja, als etwas Schönes und Wünschenswertes ansehen. Denn sie ist es erst, die uns ausmacht. Unsere Welt ist so unterschiedlich, wie sie nur sein könnte.Und statt uns gegenseitig zu hassen und zu bekämpfen sollten einige ihre Augen aufmachen und sie als das sehen was sie ist – unsere vielfältige, wunderschöne Erde, mit Individuen so einzigartig wie nur möglich.
#BloGeHa von Sarah Maria
Quellen
1) Geschichte der Euthanasie, Wikipedia
2) Euthanasie im Nationalsozialismus, Tagesschau