Nebelzeit

Ich habe bereits einen Blogbeitrag mit dem Titel „Der Beginn“ geschrieben. Darin schilderte ich den Anfang meiner schizophrenen Psychose. Aber eigentlich begannen meine psychischen Probleme schon viel zeitiger. Dabei kann ich nicht abschätzen, wann „normales“ Verhalten aufgehört hat und „krankes“ Verhalten begonnen hat. Ich kann nur noch rückblickend sagen, wie es in meiner Erinnerung ist.
Damals, vor 6 Jahren, war ich ein ziemliches normales, wenn auch störrisches Mädchen, dass sich gerade im Übergang zur Pubertät begann. Die ersten Pickel, der erste Liebeskummer, die Umwandlung des eigenen Körpers – alles Baustellen, die seit jeher für junge Mädchen schwierig sind, für Heulkrämpfe und Nervenzusammenbrüche sorgen, die Freundinnen strapazieren und die Beziehung zu den Eltern auf eine harte Probe stellen. Ich kam gerade in die achte Klasse. Dies war etwas ganz besonderes, denn ich nahm an einem „Experiment“ des Freistaates Sachsen teil, das Schülern ermöglichen sollte, während der Schulzeit eine Ausbildung zum Assistent für Informatik zu machen. Die neue Klasse, in die ich kam, war eine bunte Mischung aus den anderen 4 Klassen. Nur wenige kannten sich, der Rest war sich unbekannt. Auch ich kam ohne bestehende Freundschaften in diese neue Klasse. Die ersten Wochen liefen richtig gut. Ich fand neue Freunde, machte viele Späße, alberte in den Pausen rum und strapazierte die Lehrer. Leider ging es zu dieser Zeit meiner Großmutter, zu der ich eine ganz besondere Beziehung hatte, körperlich sehr schlecht. Aber ich konnte diese negativen Schwingungen gut abfangen, denn es lief dafür in der Schule super. Auch hatte ich richtig Spaß am Klavier spielen, was mir zuvor eher Schwierigkeiten bereitet hatte. Ich zeichnete mehr und wurde immer besser. Kurzum – der schwierige Start in die Pubertät gelang mir mit einem guten Gefühl.
Eines Tages, im Oktober, war ich auf der Geburtstagsfeier einer Freundin aus meiner neuen Klasse. Es war so eine typische Jugendlichen-Feier, mit Flaschendrehen, dem ersten Bier (welches eklig schmeckte) und allerlei anderem Quatsch. Außerdem war F. dabei – mein damaliger Schwarm, viel größer als die anderen Jungs, sarkastisch und ein typischer Cliquenleiter. Irgendwie kam an diesem Abend heraus, das ich für F. schwärmte. Und ich wusste nicht, welche Konsequenzen das nach sich ziehen sollte. Die Freundin, die Geburtstag hatte, wurde an diesem Abend eher ignoriert, als das man sie feierte. Es zeigte sich, dass die Anderen eher nur zum Spaß zu ihr gekommen waren, sie ausnutzten. Das erzählte ich ihr einige Tage später. Leider verstand sie nicht, dass ich sie nur warnen wollte, gar schützen. Denn sie fasste es als Beleidigung auf.
Dann starb meine Großmutter. In dieser ziemlich komplizierten Zeit des Erwachsenwerdens, der Selbstfindung und Verwirrung brach eine Stütze weg, auf die ich zuvor gebaut hatte. Und auf diesen Schock hin wurde ich krank. Zog mich zurück, bekam eine schwere Grippe. Zwei, vielleicht auch drei Wochen ging ich nicht zur Schule.
Als ich danach wieder kam, war alles anders.
Meine „Freunde“, die ich einige Wochen zuvor noch hatte, ignorierten mich. Wandten sich von mir ab. Redeten nicht mehr mit mir. Ich verstand die Welt nicht mehr. Eigentlich hätte ich jemanden zum reden gebraucht, denn es war schon schwer genug, mit dem Tod einer so nahestehenden Person klar zu kommen. Doch diese Abneigung, die scheinbar aus dem Nichts kam, war unerklärlich für mich. Das dies alles mit dieser seltsamen Geburtstagsfeier zusammen hing und inwieweit meine Schwärmerei, die Sorge um die Freundin und alles andere dafür gesorgt hatte, wusste ich nicht. Bis heute kann ich nur annähernd sagen, was genau geschehen war. Schließlich konnte ich danach mit niemanden mehr reden. Deswegen ist dies ein Punkt, der sehr von Nebel umschleiert ist. Der unfassbar, unbegreiflich ist. Es tut aber nichts zur Sache. Von einem aufs andere Mal, innerhalb von wenigen Wochen war ich von einem taffen, gut integrierten Mädchen zur Aussenseiterin der gesamten Jahrgangsstufe geworden. Ich dachte, dass sei das Schlimmste, was mir passieren konnte. Hätte ich in die Zukunft sehen können, wäre mir bewusst geworden, dass es noch schlimmeres als Ignoranz gab.

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