Grau in grau

Die Tage vergehen und es ändert sich nichts. Ich bin zu hause, in meiner Heimat und doch scheint mir so vieles fremd. Das Wetter ist grau in grau und so fühle ich mich auch.

Entwicklung

Auch wenn ich mich im allgemeinen auf die Termine freue, habe ich starke Ängste. Eigentlich ist die Angst omnipräsent in letzter Zeit. Unbestimmt, aber anwesend. Und ich befürchte, dass das ein Frühwarnzeichen ist für weiteres psychotisches Erleben. Denn ähnliche Symptome hatte ich auch letzten Herbst. Der Termin war an sich dann aber gar nicht so schlimm. Wir haben über meine Probleme mit dem Antrieb geredet, weswegen es mir so schwer fällt den Alltag zu strukturieren und was ich dagegen machen kann. Außerdem habe ich zwei Fragebögen bekommen, die ich bis nächste Woche  ausfüllen soll.
Weil ich gesagt habe, dass meine Symptome noch immer nicht weg sind, hatte ich im Anschluss einen Termin bei der Psychiaterin. Sie hat das Abilify erhöht auf 20mg. Mal sehen wie ich damit zurecht komme.
Leider meinte sie, dass ich wieder stationär gehen soll, wenn es bis nächste Woche nicht besser wird. Das macht mich ganz schön fertig. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
Aber lieber jetzt eine optimale Einstellung und ein weiterer Aufenthalt, als während der Ausbildung.

Laut

Es ist so unfassbar laut draußen. Ich hasse diese Geräuschempfindlichkeit. Jedes Auto, jeder Vogel der singt, jeder Passant trägt dazu bei. Es ist mir sehr unangenehm, weswegen es schwer für mich ist, sich aufzuraffen um nach draußen zu gehen. Andererseits ist es auch nicht gut, immer in der Wohnung zu hocken, dass weiß ich ja selbst.
Dafür waren die letzten Tage recht entspannt. Ich war zu Hause, bei meinen Eltern und hatte ein wenig Abstand vom Alltag mit der Krankheit. Natürlich lässt sich das Ganze nicht so leicht „ausschalten“. Es ist immer präsent, als würde es wie ein  Rucksack an mir hängen und mir deswegen das Laufen, Leben, jede Tätigkeit, schwerer machen. Es ist eben leider ein sehr schwerer Rucksack, den ich mit mir herum tragen muss.
Wieder in Dresden fällt es mir immer noch schwer, etwas zu erledigen oder aus dem Bett zu kommen. Darunter leidet die Ordnung in meiner Wohnung und soziale Kontakte. Aber manchmal, so wie heute, schaffe ich es, etwas zu unternehmen und aus dem Haus zu kommen. Das macht mich dann meist so fertig, das der Rest des Tages nichts mit mir anzufangen ist. Das ist definitiv noch etwas, an dem ich arbeiten muss.

Alltagssorgen

„Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen, ist alles andere ein Kinderspiel“

(Goethe)
Es war eine schmerzliche Erfahrung, die ich diese Woche machen musste. In der Schule, im Studium, in der Klinik gab es jeden Tag Aufgaben, die es zu erledigen und zu meistern galt. Und nun fehlt mir diese Struktur. Es ist eine wichtige Komponente weggefallen, die mir sonst Halt und Stabilität gegeben hat. Natürlich habe ich versucht, gegenzuwirken. Habe Termine ausgemacht und diese eingehalten. Aber nach ein bis zwei Stunden sind auch diese vergangen und ich stehe wieder vor dem selben Problem – was fange ich sinnvolles mit meinem Tag an?
Vor allem am Dienstag war es schlimm, da ich da nichts weiter zu tun hatte. Und sich alleine zu motivieren raus zu gehen, vor allem unter dem Hinblick der Belastung, die das für mich darstellt, ist schwer, unendlich schwer. Da bleibe ich eher im Bett liegen und mache nichts, als es zu schaffen etwas zu unternehmen.
Dann drehen sich wieder die Gedanken, es wird alles zu viel in meinem Kopf, die Stimmen melden sich zurück und ich stehe wieder am Anfang meines Problems.
Dafür läuft es in der Therapie bei der Psychologin super. Sie hat sich heute richtig mit mir gefreut, dass die Zusage zum Ausbildungsplatz kam und konnte ein „Juchu“ nicht unterdrücken. Auch wenn es oft schwierig für mich ist, habe ich heute auch gut mitarbeiten können. Es ist ja derzeit noch die Phase der probatorischen Sitzungen, in denen man sich kennenlernt. Deswegen kamen die altbekannten Fragen, der Bericht über Familie und Vergangenheit, meine Entwicklung und die der Krankheit. Ebenso haben wir eine Verhaltensanalyse gemacht. Bald steht zum dritten Mal der sogenannte „ESI“-Test an, der Eppendorfer Schizophrenie-Inventar, der der Diagnostik von schizophrenen Psychosen dient. Es ist für die Psychologen vor allem von Bedeutung, wie sich dieser im Laufe der Zeit verändert. Dadurch, dass ich ihn schon zwei mal gemacht habe, lässt sich ein Verlauf der Krankheit erkennen, an dem man die Entwicklung messen kann.
Dieses Wochenende fahre ich wieder in meine Heimat, in die Nähe von Zwickau. Ich freue mich schon darauf, bin aber auch, wie immer, ziemlich aufgeregt.

Die Qual der Wahl

Wir saßen zu sechst in der kleinen Cantine, die noch geschlossen hatte. Wartend darauf, dass einer unserer wichtigsten Tage unseres jungen Lebens begann. Sechs, ich als einzige Frau, zwischen 16 und 30 Jahren. Nach einer kurzen Wartezeit wurden wir in einen Konferenzsaal gerufen.
Das Vorstellungsgespräch begann.
Alle hatten wir dasselbe Ziel. Die Ausbildung des Fachinformatiker ergattern.
Man stellte uns vor, ein Mitarbeiter aus dem Ausbildungszentrum, zwei Mitarbeiter einer IT-Firma, die unser anderer Ausbilder sein wird und die Auszubildendenvertretung. Gleich darauf erhielten wir einen Zettel mit Fragen – Wo sehen Sie sich in 5 Jahren? Was wäre Ihre Superkraft als Superheldin? Welche Erwartungen haben Sie an unser Unternehmen? Wie stellen Sie sich einen Arbeitstag bei uns vor?
Dies musste jeder im Einzelgespräch erläutern. Ich erhielt noch einige weitere Fragen, sodass ein Gespräch entstand. Teilweise mußten wir sogar lachen. Trotz meiner Aufregung wurde es ein lockeres Gespräch. Nach schätzungsweise einer halben Stunde Frage-Antwort-Spiele verließ ich den Raum. Nun folgte eine Gruppenaufgabe. Wir sollten planen, wie man ein Netzwerk in einer IT-Firma aufbaut, welche Struktur geeignet ist, wie man das Internet absichern kann und wie man Internetseiten sperrt. Innerhalb kurzer Zeit lösten wir die Aufgabe.
Nach dem jeder mit seinem Einzelgespräch fertig war, verglichen wir kurz unser Ergebnis aus der Gruppenaufgabe.
Dann hieß es in einem separaten Raum wieder – warten.
Einzel wurde jeder wieder in einen Raum gerufen. Bis nur noch ich und ein weiterer Kandidat übrig blieben.
Ich bekam den Ausbildungsplatz. Lächelnd bestärkten mich die Mitarbeiter, weiter C und C++, zwei Programmiersprachen zu lernen, um so schnell wie möglich mitarbeiten zu können.
Es steht also fest. Ich werde Anwendungsentwicklerin bei der Telekom.

Das erste Mal

Ich hätte nicht aufgeregter sein können vor meinen beiden ersten Terminen in die psychiatrischen Institutsambulanz. Dennoch machte ich mich erst am Montag und heute nochmals auf, um meine Termine wahrzunehmen.
Montag morgen ging ich zu Frau C., meiner neuen Psychologin. Sie begrüßte mich mit den Worten: „Ich habe heute auch meinen ersten Tag in der PIA! Sehen Sie, wir beide haben heute einen aufregenden Tag.“ Damit war das Eis vorerst gebrochen. Eigentlich hatte ich keinerlei Lust auf ein erneutes Aufnahmegespräch…aber dieses war wirklich, wirklich gut. Natürlich herrscht bei solchen Terminen immer eine gewisse Anspannung. Man kennt sich nicht, ist etwas verklemmt, es kommen die immer wieder selben Fragen. Ziele werden besprochen, es wird in die Vergangenheit geschaut, man überlegt, was man erreichen möchte. Symptome werden besprochen, der derzeitige Status erklärt. Schlichtweg, man erzählt eine Menge über sich selbst, seine Krankheit und was man innerhalb der Therapie erreichen möchte. Das ist oft nicht leicht, denn wo fängt man an? Was ist am wichtigsten? Welche Ziele sollen erreicht werden? Vor allem wenn man, wie ich, manchmal etwas durcheinander ist und nicht genau weiß, was am Schlimmsten ist, sind diese Fragen recht quälend. Zumindest empfinde ich dies so – mir fällt es jedenfalls nicht leicht.
Dieses Mal jedoch war es etwas anders. Frau C. fragte viel nach und unterstützte mich in meinem Bericht. Ich mochte vor allem, dass sie sich nicht gleich den Arztbrief schnappte und mich anhand dieser Zeilen beurteilte. Sie wollte von mir wissen, was das Problem ist. Auch ihre offene Art, dass sie die vielen unterschiedlichen Diagnosen mit Abstand und Kritik betrachtete, gefiel mir. Vor allem die Situation mit dem unmöglichen Dienstarzt, der mich nicht zur Krisenintervention aufnehmen wollte, kommentierte sie mit: „Das ist ja scheiße!“
Als sie erfuhr, dass es mir derzeit nicht so gut geht und ich dennoch zu dem Vorstellungsgespräch morgen gehen werde, vereinbarte sie gleich für Freitag den nächsten Termin. Zur Sicherheit, damit nichts passiert und ich in meinen Emotionen „abgefangen“ werde. Sie kann mich, glaube ich, recht gut einschätzen. Sie hat die richtigen Fragen gestellt und das Gespräch gut geleitet…ich bin mit einem wirklich guten Gefühl aus dem Gespräch hinaus gegangen.
Heute hatte ich gleich den nächsten Termin, aber bei der Psychiaterin der PIA. Es war ein kurzes Gespräch, indem sie die Verträglichkeit der Medikamente erfragt hat und wie es mir geht. Ich habe außerdem neue Rezepte bekommen. In der Apotheke ereilte mich dann der Schock. Sechs riesige Boxen an Medikamenten, die mich knapp 30€ kosteten. Was tut man nicht alles dafür, dass man gesund wird…

Von Menschen und Ärzten

Dies ist mein zweiter Beitrag einer Blogparade – diesmal von swapy – zu einem meiner absoluten Lieblingsthemen: die Rolle der Ärzte in der Gesellschaft, der Bezug zu den Patienten und dem Arztberuf an sich.
Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Es gibt so viele Begegnungen mit Ärzten, was es mir unmöglich macht, alles zusammenzufassen. Aber in den letzten Monaten hatte ich kontinuierlichen Kontakt mit Ärzten, weswegen es mir unter den Nägeln brennt, darüber einen Beitrag zu schreiben. Um mich und meinen Blog vorzustellen: ich bin Psychiatrieerfahrene, seit knapp 5 Jahren in Behandlung und hatte bisher drei Aufenthalte in Krankenhäusern aufgrund von psychischer Krankheit.
Das Vertrauen
Es ist mir noch nie leicht gefallen, über meine Sorgen und Probleme zu reden. Irgendwann jedoch, nach jahrelanger Behandlung, ist es mir jedoch immer leichter gefallen, darüber zu reden. Am Anfang meiner Psychose hingegen hatte ich auf einmal keinerlei Vertrauen mehr in die weißbekittelten Menschen vor mir. Wie sagt man jemanden, dass man Angst vor Dingen hat, die nur Kinder fürchten? Wie erklärt man, was die quälenden Stimmen sagen, was man sich tagtäglich von einer nichtexistenden Schattenfrau anhören darf? Ich konnte es nicht und deutete maximal an, was ich empfand.
„Hören Sie Dinge, die andere nicht hören?“
Es waren immer wieder dieselben, typischen Fragen, die ich mir anhören durfte. Immer wieder. Immer wieder dieselben Tests, um zu prüfen wie mein Gedächtnis, meine Konzentration ist.
„Was ist der Unterschied zwischen einem Kind und einem Zwerg?“
Ich konnte diese demütigenden Fragen nicht mehr erhören. Konnte nicht mehr ertragen, für wie unzurechnungsfähig man mich hielt.
Irgendwann jedoch stellte ich fest, wie wichtig diese Fragen waren um abzugrenzen, welche Symptome ich habe. Die meisten Ärzte, wage ich zu behaupten, wollten mich nicht demütigen. Einige wenige lachten in den Visiten manchmal leise, wenn ich mich versprach, weil ich so durcheinander war. Auch ließ man mich nicht immer ausreden oder fragte, ob ich mir das Ganze ausdachte. Das war natürlich wirklich in dem Moment schlimm, denn ich hatte mich überwunden zu sagen, was ich sah, fürchtete und was mich bedrohte – und die Frage, ob das Ganze nur ein Scherz sei schmerzte mich ziemlich. Aber ich schluckte meine Wut hinunter und beteuerte, dass ich nicht log. Aber mit der Zeit festigte sich das Verständnis der Ärzte gegenüber meiner Eindrücke und die Tests wurden weniger, ich wurde nicht mehr gefragt ob ich log. Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass ich nicht nur den Ärzten vertrauen musste. Die Ärzte mussten auch mir vertrauen. Einen Test bezüglich eines Blutwertes kann ich nicht fälschen. Ich kann auch keine Ergebnisse aus dem MRT oder dem EEG manipulieren, zumindest nicht gravierend. Jedoch ist es möglich, den Ärzten etwas vorzumachen, wenn sich die gesamte Krankheit im Kopf abspielt.
Die Behandlung
„Sie haben sich selbstverletzt? Das ist doch ganz normal. Solange Sie sich nicht die Pulsadern aufschneiden, sehe ich keinen Grund, Sie aufzunehmen.“
Ich war in einer Krisensituation und mir wurde eine Aufnahme zur Krisenintervention verwehrt. Es tat sehr weh, in seinem körperlichen und psychischen Schmerz alleine gelassen zu werden. Auch wenn dieser Vorfall einige Wochen zurückliegt, kann ich mich nicht davon distanzieren. Ich habe Angst, dass es wieder einmal soweit kommt, dass ich die Krisenintervention in Betracht ziehe, und dann nicht aufgenommen werde.
Eine ganz andere Art der Behandlung liegt in der medikamentösen. Derzeit nehme ich vier unterschiedliche Medikamente, davon ein Bedarfsmedikament. Sie wirken antidepressiv, antipsychotisch, sedierend und – haben heftige Nebenwirkungen. Für den Arzt ist es einfach, ständig Medikamente an- und abzusetzen. In Klinikzeiten wurde teilweise jede Woche die Dosis erhöht, dann plötzlich wieder abgesetzt und ein neues Medikament angesetzt. Ich wurde unter das starke Tavor gesetzt, sodass ich zu den Besuchszeiten mitten im Gespräch eingeschlafen bin. Von „Leben“ konnte nicht mehr die Rede sein. Ich kann mich zugegebenermaßen kaum an diese Zeit erinnern, weil mein Kopf so zugedröhnt war. Aber in meinem Klinik-Tagebuch und anhand Erzählungen kann ich diese Zeit rekonstruieren. Was sagten damals die Ärzte dazu? Man nannte es „Stabilisierungsphase“. Aber ich finde, es ist keine Möglichkeit den Patienten so stark zu sedieren, ihn willenlos zu machen, nur, damit er sich partout nicht wehren kann, dass er sich nichts antun kann. Für einige Zeit mag so etwas schon gehen, um den Patienten vor sich selbst zu schützen. Aber keine fünf Wochen lang!
Der Patient
Ich habe mich oft gefragt, wer oder was man als Patient ist. Ist man der Mensch, der vor dem Arzt auf dem Stuhl sitzt, seine Probleme beichtet und ins Gespräch kommt? Oder ist man die Akte, die viele Seiten stark ist und nur mühsam von einem Gummiband gehalten wird? Ist man die Diagnose nach dem ICD-10? Oder ist man ganz einfach ein Mensch, der Hilfe von einem anderen Menschen braucht?
Ich habe innerhalb der Zeit in der Klinik viele unterschiedliche Patienten kennengelernt. Die einen, die keinerlei Krankheitseinsicht hatten, die Ärzte beleidigt haben und die sich auch gegenüber der Mitpatienten unmöglich aufgeführt haben. Spontan fällt mir Frau M. ein, die mich auf dem Gang lauthals beleidigt hat, mich mit Flaschen beworfen und getreten hat. Sie war auf Drogen, sodass man ihr Verhalten entschuldigen konnte. Als sie einige Tage clean war, benahm sie sich besser und ließ mich in Ruhe. Die Ärzte jedoch nicht. Auch Frau F., die mit mir einige Zeit im Zimmer auf der geschlossenen Station war, beschwerte sich bei jeder Stationsversammlung über die Ärzte, behauptete das der Oberarzt sie nachts missbrauchte und verweigerte ihre Tabletten. Sie war psychotisch, aber ihr Verhalten gegenüber der Ärzte besserte sich auch nicht, als sie wieder in der Realität war. Natürlich gab es auch andere Fälle. Die Patienten, die auf die Ärzte hörten und sich nicht den Medikamenten und den Untersuchungen widersetzten. Ich sehe mich in dieser Gruppe der Patienten, auch wenn mir Unrecht getan wurde. Dennoch machte ich alles, was die Ärzte mir sagten. Selbst die unangenehmsten Untersuchungen wie die Lumbalpunktion und das vierte EEG meines Lebens.
Was sagt das nun alles über den Arztberuf aus?
Grundlegend kann ich den Ärzten nur dankbar sein. Ich habe nicht nur viel „fürs Leben“ gelernt, habe mich zurück ins Leben gekämpft, wurde unterstützt durch Gespräche und Medikamente, kurzum: mir wurde ein Stück Lebensqualität zurückgegeben. Das ich noch immer daran zu kämpfen habe, dass ich noch immer kämpfen muss und das es nicht innerhalb von wenigen Monaten wieder alles gut wird, ist mir klar. Ich habe auch Ärzte getroffen, den herzlich wenig an mir als Mensch lag und die mich nur als Fall behandelt haben. Aber es gab und gibt noch Ausnahmen. Zum Beispiel die Ärztin Dr. R., die ein langes Gespräch nach ihrer Schicht mit meiner Mutter geführt hat. Oder Dr. S., Chefarzt der Klinik, der bei den Visiten immer sagte, dass ich weitermachen, weiterleben muss. Das ich mir selbst beweisen soll, dass ich es schaffen kann, wieder zurück zu finden.

Nebelzeit, vierter Teil

Dies ist der vierte und letzte Teil, der meine Vergangenheit vor der Psychose thematisiert.
Ich wechselte zu Beginn des Jahres 2012 von dem Psychologen Herr S. zu der Kinder- und Jugendtherapeutin Frau M. Sie sollte mich bis Sommer 2014 begleiten, durch die zehnte Klasse, durch die Oberstufe zum Abitur, meiner Bewerbung zum Studium und zum Umzug. Auch in meiner Krise im Herbst 2014 nahm sie sich meiner an, vereinbarte am Wochenende mit mir Termine und half, so gut es ging. Dennoch muss erwähnt werden, dass sie „nur“ eine Sozialpädagogin war und keine Psychologin, weswegen sie mir zwei Fehldiagnosen zu schrieb. Vor allem ihre Arbeit an meinen dissoziativen und durch Traumata ausgelösten Störungen bleiben mir in guter Erinnerung, denn sie half mir, zwischen dem Hier und Jetzt und der Vergangenheit zu unterscheiden.
Das Mobbing, die alte Schule und die Vergangenheit in der Klinik verfolgte mich nicht mehr, nur manchmal träumte ich von den Erfahrungen, die ich schmerzlich machen musste. Meine Suizidgedanken nahmen ab, ich hatte Freunde, unternahm am Wochenende manchmal etwas mit ihnen, ging in die Stadt und fing wieder an, zu leben. Dennoch verletzte ich mich in schwierigen Situationen manchmal noch selbst. Ein destruktives Verhalten, welches ich bis heute nicht ganz ablegen konnte.
Im April 2012 war ich das zweite Mal in der Klinik des Heinrich-Braun-Krankenhauses. Nach einer Wunde vom selbstverletzenden Verhalten musste ich in die Notaufnahme zum Chirurgen, um die Wunde nähen zu lassen. Ich hatte bis auf das Fettgewebe meines Armes geschnitten und konnte mir nicht mehr selbst helfen. Einige Nächte verbrachte ich in der Kinderabteilung, um stabiler zu werden. Danach konnte ich, noch immer ziemlich aufgewühlt, die Klinik vorerst verlassen.
Irgendwie, trotz aller Probleme und dem plötzlichen Absetzen meines Antidepressivums, schaffte ich die Schule. Nun begannen die psychotischen Symptome einzusetzen, wie in Der Beginn und Von Prüfungen und Stimmgewirr beschrieben.

Entlassung

Heute, nach vier Monaten, war es soweit. Ich verließ die Klinik, endgültig.
C. schenkte mir eine Karte und einen Schoko-Marienkäfer. Die „Muttis“ verabschiedeten mich mit Küsschen und Umarmungen. Von den andren habe ich mich mit Handschlag verabschiedet.
Das abschließende Gespräch mit dem Psychologen war kurz, aber gut. Wir haben ein Resümee über die Behandlung in der Tagesklinik gezogen und die Therapieziele hinsichtlich ihrer Erfüllung betrachtet. Natürlich habe ich nicht allzu viel erreicht in der kurzen Zeit, bin aber sicherlich stabiler geworden.
Ich hatte zuvor ziemlich Angst vor dem Entlassungsbrief der Ärzte. Aber am Ende war dieser nicht so schlimm wie erwartet. Somatisch ist alles in Ordnung und unauffällig. Diagnosen sind ziemlich durchwachsen – von rezidierender depressiver Störung, gegenwärtig schwere Episode und polymorphe psychotische Störung mit Symptomen der Schizophrenie, bzw. Differentialdiagnose Vorlaufphase Schizophrenie. Das habe ich natürlich vorausgesehen…ich wusste in etwa was mich diesbezüglich erwartet. Von den Symptomen her war man sich auch einig. Anhedonie, Affektstarre, Konzentrationsprobleme, kaum emotional schwingungsfähig, ….
Am Montag habe ich meinen ersten Termin in der PIA. Dort werde ich dann sicher erklärt bekommen wie lange ich therapiert werde, welche Gruppen ich besuchen kann und wie oft ich Gespräche haben werde. Man muss sehen, wie es sich entwickelt. Ich bleibe gespannt.

Nebelzeit, dritter Teil

Es vergingen Monate, bis ich den ersten Termin der Familienberatungsstelle hatte. Die Sozialarbeiterin, die damals mit mir redete, nutzte viele verschiedene Mittel um meinen Unmut erklärt zu bekommen. Ich sollte Tiere aufstellen und daran erklären, wie ich meine Position innerhalb der Familie sehe. Sollte offen reden über das Mobbing, die Selbstverletzung und die Suizidgedanken. Schon bald wurde der Sozialarbeiterin, Fr. H., klar, dass ich suizidal war und das mir die Termine im Abstand von zwei Wochen nicht reichten. Sie empfahl meinen Eltern, mich in die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Heinrich-Braun-Klinikums zu überweisen. Dazu brauchte ich eine Einweisung meines Hausarztes. Einige Tage später saß ich auf der Liege der Ärztin, rutschte nervös hin und her. Sie sah sich meine Arme an. Redete mit mir über meine Suizidgedanken. Damals wollte ich mich mit der weichen Methode, einer Tablettenüberdosis, vorzugsweise mit freiverkäuflichen Medikamenten, umbringen.
In der Zwickauer Klinik kam ich in das Akutzimmer, ein Zimmer mit Kameraüberwachung. Es war eine offene Station. Zuerst kam ich überhaupt nicht damit zurecht, in einem psychiatrischen Krankenhaus zu sein. Aber die Isolation von meiner Schule, in der ich weiterhin gemobbt wurde, tat gut. Aber ich war immer noch schwer depressiv. Damals, 2010, mit 14 Jahren, nahm ich mein erstes Antidepressivum, das gut anschlug. Ich begann wieder zu leben. Ich fand in der Klinik Freunde. Vor allen ist Sarah, meine erste Zimmernachbarin und Mitpatientin, zu nennen. Bis heute sind wir befreundet.
Langsam lernte ich wieder, das Leben als solches zu akzeptieren. Mit meinem Schicksal abzuschließen. Im November wechselte ich die Schule, nach Zwickau in das künstlerisch-musisch orientierte Clara-Wieck-Gymnasium. Damit begann für mich eine neue Epoche meines Lebens. Ab dem ersten Tag in der Klasse wurde ich angenommen, so wie ich bin. Kleinere Streitigkeiten und Probleme gab es auch hier, aber kein Mobbing. Ich fühlte mich wohl. Meine Depressionen verschwanden zwar nie ganz, denn ich war gezeichnet von den Erfahrungen in der Glauchauer Schule. Im Februar 2011 wurde ich entlassen.
Auszug einer weiteren E-Mail an Fr.Z., meine ehemalige Klassenlehrerin.

Ich selbst kann es mir nicht erklären, wie so etwas geht. Mit vierzehn Jahren eine solche Trauer, einen solchen Hass auf das Leben. Um ehrlich zu sein: Ich könnte es wieder tun. Ich bin am verzweifeln. Am 10. Februar, letzter Schultag, wurde ich entlassen. Ich kann es kaum glauben. Es tat weh. Einfach nur weh. Die letzte Schulwoche habe ich zu Hause verbracht. Ich war nur zwei oder drei Tage in der Schule. Ich war so schwach. Wow. Klingt scheisse wenn ich das so knall hart schreibe. Aber ich kann nicht mehr. Ich muss mich ablenken. Ich kann einfach nicht mehr.
Es ist einfach nur scheisse. Alles. Einfach alles. Ich will und kann nicht mehr. Die scheiss Klingen haben mir die Therapeuten in der Klinik weggenommen. Könnte sie derzeit gut gebrauchen.
Ablenken kann ich mich nicht.
So ein scheiss Leben.
Ich war siebte Klasse, als sie mir Ihre E-Mailadresse gaben, so unbeschwert und kindlich. Naiv. Lebte in meiner rosa Luftballon-Welt. Ein Jahr später : Depression. Suizid. Antidepressivum.
Schulwechsel, Kulissenwechsel. Besserung? No way. Immer noch die selben Probleme. Die Leute dort müssen mir helfen. Ich will weg. Einfach nur weg.
Bevor wieder etwas geschieht. Und dann ist es zu spät.
Ich stehe zwischen Bäumen.
Leben ändert sich.
Nach der Psychiatrie.
Keine Hilfe mehr.
Mehr – kann nicht mehr.
Ein stetiges fliehen.
Aber ich traue mich nicht, diesen Schritt zu tun.
Was soll ich nur machen? Der Tod löst diese Frage auch nicht. Zu viel liegt mir … mir liegt an nichts etwas.
Es ist so sinnlos.
Sinn. Los.

23.02.2011
Diese E-Mail zeigt, wie hospitalisiert ich nach dem Klinikaufenthalt war. Ich wollte um jeden Preis zurück in die Klinik, war immer noch sehr pessimistisch und schlecht drauf. Ich isolierte mich weiterhin und auch die Selbstverletzung wurde nicht besser. Ich hatte weiterhin wöchentliche Gespräche mit dem Psychologen Herr S. aus der Klinik. Dies ging ungefähr ein Jahr weiter, bis ich einen Therapeutenwechsel machen sollte. Denn die Beziehung zu dem Psychologen war aus privaten Gründen ziemlich strapaziert.