II – Woche 13 – Psychiatrie

Die Tagen gehen ineinander über, fließend, als könnte mich die Zeit einem Wasserfall gleich davon tragen.
Die Abende auf Station sind die schlimmsten. Wenn die Besuchszeiten vorbei sind stehe ich allein da. Dann drängen sich die quälenden Gedanken auf, die Sorgen und Probleme. Oft mals steigere ich mich da so hinein, dass ich Prothazin als Bedarfsmedi nehme. Ich weiß das das keine Lösung für immer ist, aber es hilft mir den Bezug zur Realität nicht ganz zu verlieren. Denn das fällt mir in meinem Grübelzwang sehr schwer. Meine Gedanken sind dann häufig in einer weit entfernten Zukunft und ich mache mir Sorgen über alle vorstellbaren Probleme – schweife ab, verliere den rationalen Blick auf die Geschehnisse und kann diese Flut an Gedanken nicht stoppen. Ich weiß dann längst nicht mehr, in welchem Hier und Jetzt ich mich befinde.

Schatten und Ängste

Im September brach die Psychose aus. Einige Monate hatte ich Ruhe von ihr, wurde nicht durch Stimmen beleidigt oder von Angst getrieben. Aber nach einem extremen Angst- und Gefühlsausbruch Anfang September schlich sich die Krankheit in meinen Leben ein. Zuerst fiel es mir schwer unter Leute zu gehen, das Haus zu verlassen und einzukaufen. Ich merkte das ich mich wieder zurück zog, am liebsten allein sein wollte und meine Stimmung generell im Keller war.  Unglücklicherweise zog ich gerade in dieser Zeit in meine eigene Wohnung. Aber ich schaffte es kaum mitzuhelfen, war ständig gereizt oder verzweifelt. Nach einer Verletzung, die chirurgisch versorgt werden musste war klar – das ist eine neue Krise, die mit Medikamenten behandelt werden muss. Einige Tage danach machte ich mich auf die Suche nach einem Psychiater. Zu vier verschiedenen Ärzten musste ich gehen, wurde allein zurück gelassen und weg geschickt. Alle nahmen keine neuen Patienten auf. Kurz davor aufzugeben bekam ich den Tipp im hiesigen Einkaufscenter zu einem neuen Psychiater zu gehen. Ich ging sofort zu ihm und fragte nach einem Termin. Die Sprechstundenhilfe antwortete, in zwei oder drei Wochen sei ein Termin frei. Ich brach in Tränen aus – meine Welt zerfiel in tausend Teile. Zum Glück hatte der Arzt meinen emotionalen Ausbruch vor der fassungslosen Sprechstundenhilfe mitbekommen und nahm mich sofort dran. Er war sehr nett und einfühlsam, sprach lange mit mir und verschrieb mir das Antidepressivum Fluoxetin und zur Bedarfsbehandlung Promethazin. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit langer Zeit verstanden und ernst genommen. Doch was noch folgte ahnte niemand.
Die nächsten Wochen verbrachte ich im Bett. Ich ging nicht aus dem Haus, wusch mich seltener und vergaß Aufgaben wie Zähne putzen. Nachts lag ich wach. Und plötzlich bekam ich vor den Nächten große Angst. Täuschte ich mich oder tanzten da Schatten an der Wand? Was war das für ein Geräusch? Warum lesen die Schatten meine Gedanken?
Blanke Panik ergriff mich immer häufiger. Die Nächte kontrollierte ich mehrmals die Türen und Fenster, damit die Schatten nicht in die Schlafstube kamen. Ich hatte solche Angst. Meistens nahm ich in dieser Zeit Promethazin. Es half aber häufig nur wenig. Dies war die schlimmste Zeit meines ganzen Lebens.
Die Schattenfrau schien mich immer zu verfolgen, sie war die Anführerin der anderen Schatten. Sie war die Stimme, die zu mir sprach, meine Gedanken lesen konnte und Gedanken zwischen schieben konnte. Ich fürchtete die Dunkelheit immer mehr und schlief nur noch mit Licht (zum Beispiel einer Kerze) ein.
Als ich im Oktober den nächsten Termin hatte und ein psychologisches schreiben von einer Psychologin des sozialpsychiatrischen Dienstes vorlegte wurde ich sofort eingewiesen. Im Krankenwagen fuhr ich ins  Krankenhaus Friedrichstadt. Es war die beste Wahl…mein Psychiater handelte rückblickend eindeutig richtig.

III – Woche 12 – Psychiatrie

Trotz dessen das viele Ärzte fehlten, wurde heute eine Visite gemacht.
Mir geht es heute gar nicht gut. Gestern hatte ich mich wieder verletzt, es musste versorgt werden. Immer noch bin ich ängstlich und nervös, sehr unruhig und durcheinander. In der Visite wurde mir klipp und klar gesagt das ich wegen Hospitalisierung so bald wie möglich entlassen werden soll. Einerseits verstehe ich das schon, andererseits sind die Ängste darüber sehr groß. In zwei Wochen ungefähr soll es deswegen auf die Tagesklinik gehen.
In der Ergotherapie webe ich ein rundes Sitzkissen. Es soll mir, wenn es fertig ist, als Grundlage zum meditieren und Yoga dienen. Weben ist sehr beruhigend, dennoch fordernd. Ich mag es, die unterschiedlichen Wollfäden zu spüren, ihre Eigenarten während des Webens zu erkunden und Stück für Stück, Reihe für Reihe weiter zu kommen.

I – Alptraum

Ich bin ein ganz normales Mädchen, dass an einem Radio herum spielt um seinen Lieblingssender einzustellen. Plötzlich höre ich die Nachricht – die Deutschen sind in Polen ein marschiert! Ängstlich laufe ich durch das Haus, suche meine Eltern, die ich nicht finden kann. Sie sind verschwunden. Noch immer höre ich die Stimme des Nachrichtensprechers. Er redet außerdem von Atombomben. Mir wird plötzlich klar – das Radio, das in unserem Haus steht ist die Atombombe, von der er redet! Nun ist guter Rat teuer. Das Schicksal der Menschheit liegt in meinen Händen. Ich gehe zu dem Radio zurück und öffne eine Schachtel, die in dem Radio eingelassen ist. In ihr liegen Münzen. Ich durchsuche die Schachtel bis ich zwei japanische Münzen finde. Mir wird klar – damit habe ich das Urteil gefällt, wohin die Atombomben fallen. Vor Schreck lasse ich die Münzen fallen. Und wache auf.
Ein verstörender Traum, der mir viel Angst gemacht hat. Ich weiß nicht was das bedeuten könnte…

I – Woche 12 – Psychiatrie

Langsam neigt sich die Therapie im Krankenhaus Friedrichstadt Dresden dem Ende zu. Zwar gibt es noch keinen genauen Termin, aber früher oder später werde ich auf mich selbst gestellt sein und entlassen werden. Ich hoffe das geht nicht allzu schnell, denn „gut“ oder „gesund“ fühle ich mich noch lange nicht. Derzeit dominieren wieder die Ängste und Gedanken daran,  das andere mich auslachen und abstoßend finden könnten. Vor allem wenn ich im Straßenverkehr bin fällt mir dies schwer. Auch die Reizüberflutung, die ich außerhalb erlebe, ist furchtbar und kaum auszuhalten. Oft rede ich mit mir selbst, um mich zu beruhigen. Aber es ist schön, dass ich überhaupt in den Stadtausgang und damit nach hause kann.

Von Prüfungen und Stimmgewirr

Ich ging weiterhin zur Schule und fiel dort nicht weiter auf. Langsam begann ich mich aber immer weiter zurück zu ziehen. Ich traf mich seltener mit Freunden, war fast nur noch in meinem Zimmer und vergaß Kontakte zu pflegen. Dies hatte zur Folge das sich einige Freunde von mir abwandten, weil ich nicht mehr für sie da sein konnte. Ich wusste selbst, das es meine eigene Schuld war, aber ich konnte diesen Zustand nicht ändern. Das, was ich erlebte nennt man Prodromalstadium. Denn ich war auf einem Weg, der keine Abzweigungen hatte, um ihn zu verlassen. Ich lief immer weiter auf diesem Pfad. Und das allein, denn niemand schien die Veränderungen wahr zu nehmen. Vor allem verlor ich den Kontakt zu meinem besten Freund Jens, der selber eine schwere Zeit durchmachen musste. Aber ich schaffte es nicht für ihn da zu sein, war viel zu beschäftigt mit mir selbst. Außerdem merkte ich das erst viel zu spät.
Dennoch hatte ich eine Stütze – meine Beziehung mit André. Obwohl die Symptome nie ganz abklangen half sie mir.
Ich war wenige Wochen vor den Abitur-Prüfungen. Ständig hörte ich ein murmeln, rauschen. Unwissend, wie ich damals war, dachte ich es sei eine Form von Tinnitus. Doch heute weiß ich, das dies eine Form von akustischen Halluzinationen ist – mein Stimmengewirr, welches ich fast immer höre. Während den Prüfungen ging es mir besonders schlecht. Von allen Seiten prasselten Gefühle, Gedanken und Reize auf mich ein. Ich konnte nichts mehr hören, außer das ständige Gemurmel. Sobald ich das Schulgelände verließ schien mich jeder zu beobachten, einige gar zu verfolgen. Ich wusste nicht ein noch aus. Aber irgendwann endete auch diese Phase und für ein paar Monate hatte ich Ruhe vor den Stimmen und Eindrücken.

Der Beginn

Ich weiß rückblickend nicht mehr genau, wann es angefangen hat. Wenn ich allerdings überlege komme ich zum Schluss das alles seinen Anfang im Herbst 2012 hatte.
Gerade hatte ich die letzten zwei Jahre meiner Schulzeit angefangen. Zukunftsangst und Sorge, ob ich die Belastung aushalte dominierten meine Gedanken. Ich fragte mich – schaffe ich es weiterhin? Bin ich bereit für ein Studium?
Meine Gedanken rasten. Es wurden immer mehr und mehr, die sich in einem Strudel zu drehen schienen und einer Welle gleich mit voller Wucht in mein Innerstes trafen. Immer häufiger wurde ich unruhig, nervös, überfordert. Wenn ich im Bus nach Hause fuhr schlief ich ein, es war alles zu viel, zu anstrengend. Zunehmend wurde ich depressiv. Dabei muss erwähnt werden, das ich bereits 2010 wegen Depressionen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie war. Nun wurden diese Gedanken immer schlimmer. Außerdem war ich grundlos gereizt, hatte meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Was nun wirkt wie Probleme in der Pubertät stellte sich bald als tief greifende, schwere psychische Beeinträchtigung heraus.
Denn das was mich nun heim suchte veränderte alles.
Du bist hässlich. Wertlos. Scheiße. Anna. Ritzen.
Ich drehte meinen Kopf in alle Richtungen um die Ursache für diese Worte auszumachen. Mein Gedankensturm tobte innerlich weiter. Meine Ohren brummten, mein Kopf schien zu zerplatzen. Es tat alles so weh. Ich bekam Panik. Was passierte hier mit mir? Was sollten diese Worte bedeuten?
Ängstlich, verstört und mit Tränen in den Augen berichtete ich meiner damaligen Psychologin meine Erfahrungen mit den Stimmen, die nur ich hörte. Leider erkannte sie die Gefahr, die sich anbahnte, nicht und tat die Stimmen als Teil der sogenannten Dissoziation ab.
Resignierd musste ich feststellen, dass ich mit ihnen alleine war. Für Wochen gab es nur noch sie und ich. Was ich noch nicht wusste war, dass sie bald meine engste Freundschaft zerstören, den Bezug zu mir selbst verändern und mein Leben zerfetzen würden. Für den Moment aber waren sie das bedrohlichste, was ich je erlebt habe.