10. Juni

Die letzten drei Tage war ich zu Hause und nicht in der Maßnahme. Ich bin etwas überfordert zur Zeit. Termine im BBW, Arztgespräche, Psychotherapeutentermine, Termine in der PIA, Psychiater, Medikamente, Maßnahme, Stimmen, alles durcheinander. In der PIA war ich seit dem 18.5. nicht mehr, also fast einen Monat. Die Psychologin hat sich auch bei mir gemeldet und gefragt was los ist. Das ist mir so schrecklich unangenehm. Ich wollte Termine, ich will in die PIA, aber die Maßnahme…ich will auch nicht ständig fehlen und Freistellungen, aber andererseits brauche ich die Termine. Zwar habe ich natürlich Gespräche mit der BBW-Psychologin, aber meine PIA-Psychologin möchte ich dennoch sehen. Ach, ich weiß nicht weiter. Ich hoffe ich kann mit den BBW Leuten reden, das ich zumindest aller zwei Wochen in die PIA gehen kann und ansonsten wieder 2 mal die Woche im BBW ein Gespräch erhalte.
Das Thema Leistung und Erwartungen ist aktuell wie nie. Nicht mal während des Abiturs ging es mir so schlecht. Und dabei hatte ich da auch immer die Angst zu versagen  – wobei ich es da schwarz auf weiß erhalten hätte, in Form eines schlechten Zeugnisses. Aber die Ungewissheit, wie meine Leistung im Vergleich mit den anderen ist, das ist es was mich stört. Weil ich so annehme, das ich ein totaler Loser bin und nichts schaffe. Das ich bedeutend schlechter als alle anderen bin, das ich versage, das ich dumm bin. Die Stimmen, vor allem ist es derzeit der Mann, Demian, machen mir das nicht unbedingt einfacher. Ich höre ihn recht leise zur Zeit, aber dennoch verstehe ich was er sagt. In der Maßnahme ist es aber bedeutend schlimmer als zu Hause.
Ich hoffe ich erhalte am Montag von der Ärztin weiterhin die Stundenverkürzung. Derzeit schaffe ich die 8 Stunden durch einfach nicht. Das meint auch die Psychologin. Hoffentlich sieht das die Ärztin auch so.
 

Obacht

Derzeit heißt es roter Alarm. Ich muss aufpassen, das ich nicht direkt in die nächste Krise schlittere. Ich habe eine Menge meiner mir bekannten Frühwarnzeichen für eine Psychose und direkt gut geht es mir auch nicht. Der Stress im BBW macht mich schon ziemlich fertig, ich mache ihn mir hauptsächlich selbst. Dennoch versuche ich mich gerade in die Gruppe zu integrieren (mit Erfolg) und mit den anderen gut zurecht zu kommen. Mit Chris fahre ich oft mit dem Bus nach Hause und rede auch in den Pausen mit ihm, mit den anderen beiden bin ich noch nicht so grün.
Dadurch das es mir derzeit eher mies geht habe ich bis zum 2.6. eine Arbeitszeit-Verkürzung. Statt 7 1/2 Stunden nur 4 1/2 Stunden. Die Psychologin hat meine Situation ernst genommen und direkt reagiert. Ich habe am Donnerstag noch ein kurzes Gespräch mit ihr, wie es so läuft. Derzeit ist es in meinem Kopf ziemlich laut. Ein Genuschel die ganze Zeit und dann ab und an Stimmen. Derzeit dominiert die männliche, Demian, er ist am aktivsten. Und das obwohl sonst Eva immer so gesprächig ist…
Gestern war ich in der SHG und wir haben gepicknickt, bis uns ein Gewitter überrascht hat. Für mich wurde ein Kuchen mit einem Einhorn drauf gebacken und von Frau Ludwig bekam ich Veggie Schokolade und Tee. So lieb! Ich hab mich richtig sehr gefreut. Nach dem wir im Regen durch die Neustadt liefen, sind wir noch was trinken gegangen.
Am Montag nächste Woche geht vermutlich meine Einzelkunsttherapie los und ich werde noch zur Entlastung mit Frau Ludwig ein Gespräch führen. Sie unterstützt mich in meiner Krise auch so gut es geht und das freut mich sehr. Es ist derzeit nicht einfach und das verstehen zum Glück alle. Ich war gestern so geschafft das ich beim Picknick oft in Tränen ausgebrochen bin. Ich hasse das, es ist mir peinlich.

Berufsunglück

Ich lief durch den Park, indem ich jeden Winkel, jeden Baum, jede Bank kannte. Es war Herbst geworden und die kahlen Bäume kratzten am grauen Himmel. Laub fegte durch den scharfen und kalten Wind über die gepflasterten Wege. Ich setzte mich vor den Neptunbrunnen und sah zu, wie die Krähen über ihm kreisten. Graubedeckte Himmel mit dunklen Schwingen gezeichnet. Ich wollte zur Infoveranstaltung des BTZ, um mich weiter über berufliche Reha zu informieren. Aber ich war gnadenlos zu zeitig da und deswegen hatte es mich in den Park des naheliegenden Krankenhauses, in dem ich so viel Zeit verbracht hatte, verschlagen.
Als ich zurück kehrte, ging ich zu A. aus der Selbthilfegruppe, der derzeit auch am BTZ eine Maßnahme macht. Wir unterhielten uns und er lenkte mich von meiner Unsicherheit und Angst ab. Bald schon kamen andere Interessenten, und, oh Wunder, ich kannte einige von ihnen aus der Klinik.  Eine Mitarbeiterin des Beruflichen Trainings kam und begann mit der Präsentation über das BTZ. Sie erklärte das Modell, die Ziele, die Arten und Leistungen. Im Anschluss machten wir einen Rundgang durch das Gebäude und lernten die verschiedenen Arbeitsbereiche kennen. Am meisten interessierte mich der gestalterische Bereich mit Buchbindung, Mediengestaltung und das Labor, sowie die Schneiderei. Mal sehen, ob ich teilnehmen kann und dann die Bereiche kennen lerne…
Wenn die Personalabteilung im Krankenhaus endlich auf meine Kündigung reagieren würde, könnte ich dem Sozialdienst Bescheid geben, das ich mich für die Reha entschlossen habe und das durchziehen möchte. Aber seit einer Woche keine Reaktion…
Das Wochenende wird ruhig, ich werde ein wenig stricken, auf Miezi aufpassen und eventuell durch die Stadt spazieren gehen.  Und möglicherweise Kaffee trinken gehen. Hab ich das schon mal erwähnt? Ich liebe Kaffee.

Ich weiß gerade nicht, wie es mir geht. Ob es mir gut geht. Ob es mir schlecht geht. Gerade bin ich sehr sensibel. Ich könnte wegen Kleinigkeiten in Tränen ausbrechen. Ich höre wieder viel (an euch da oben: langsam nervt’s). Ich habe sehr viel Angst.
Ich wünsche mir…das es langsam mal wieder aufwärts geht. Eigentlich dachte ich, das ich mir das mittlerweile verdient hätte. Irgendwo. Ich kämpfe schon so lange. Und immer wieder gibt es Einbrüche in den vereisten See, unter dem die Depression, die Angst, die Psychose lauert.

Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende

Ich konnte kaum schlafen, denn ich wusste, die beiden Termine die vor mir lagen würden mir alles abverlangen. Zuerst ein Gespräch mit W. vom Sozialdienst, danach ein Gespräch mit Locke, nach dem unmöglichen Aufnahme/Einweisungsgespräch letzter Woche.
Ich wartete in der PIA auf W., weil er sich dort mit mir treffen wollte. Der Sozialdienst mit zwei Mitarbeitern ist der PIA angeschlossen, so wie es für jede Station einen Sozialarbeiter gibt. Früher, das heißt bis Sommer diesen Jahres, lag der Sozialdienst mit im Haus B, in dem die gesamte psychiatrische Abteilung untergebracht ist. Dies hatte sich aus Platzmangel verändert, sodass wir quer durch das Krankenhausgelände zu seinem Büro gingen.
In dem kleinen Zimmer setzte ich mich und ich musste kämpfen, dass ich nicht direkt in Tränen ausbrach. Ich erklärte ihm erst meinen (kurzen und schwierigen) beruflichen Werdegang. Abitur 2014, Studium…Psychiatrie. Ausbildung….Psychiatrie. Bufdi….Psychiatrie. Alles, was ich je begonnen hatte, endete in der Psychiatrie, wo ich völlig entkräftet wieder zu mir kam. Er hörte mir zu und riet mir dann zu beruflicher Reha. Davon hatte ich am Freitag bei der Psychiaterin bereits gehört und mir im Vorfeld Gedanken dazu gemacht. Ich wusste, das es derzeit wahrscheinlich der beste Weg für mich war. So gab er mir alle nötigen Informationen, erzählte von Voraussetzungen und Anträgen, dem Weg dorthin. Für mich als Schwerbehinderte sei es recht einfach, da das Amt nicht noch einmal extern (beim Amtsarzt und Amtspsychologen) prüfen müsse, das wirklich Bedarf an der Maßnahme war. Die Bearbeitungszeit und der Antrag dauert ohne Ausweis bis zu 3 Monate…mit Behindertenausweis aber wesentlich schneller.
Die Maßnahme, die ich machen sollte, lautet Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BVB). Definiert wird sie auf der Homepage des Trainingszentrums folgendermaßen:

Angeboten wird diese Einzelmaßnahme seelisch behinderten Menschen, die mit einer anschließenden Ausbildung ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt erreichen wollen. — Quelle: BTZ Dresden

Die Dauer liegt mit 11 bis maximal 18 Monaten vor. Denn, Hand aufs Herz: nach 3 Versuchen muss ich mir eingestehen, dass ich noch keine Ausbildung schaffe. Am Donnerstag aller zwei Wochen bietet das BTZ Dresden eine Infoveranstaltung an, die sozusagen verpflichtend für zukünftige Teilnehmer der Maßnahmen ist. Man bekommt erst einen Überblick über das BTZ allgemein, die Leistungen etc. und dann einen Rundgang durchs Gebäude. Dort werden dann alle Stationen vorgestellt.
Zugegeben, anfangs war ich von der Idee nicht begeistert. Eine Maßnahme, um überhaupt eine Ausbildung zu schaffen? Ich hab sogar mein Abitur geschafft! Aber dann überlegte ich und sah es ein, das es mit Aufgeben und Versagen und Scheitern nichts zu tun hat. Denn es ist eher ein Versagen, würde ich nochmal 2 Ausbildungen beginnen und nicht schaffen, so wie das Studium, Ausbildung, Bufdi…
W. riet mir also, die Infoveranstaltung zu besuchen und dann noch mal über meine Entscheidung Bescheid zu geben;  ob der Antrag gestellt wird oder nicht. Dabei werde ich nämlich vom Sozialdienst unterstützt. Danach lief ich, mit vielen Fragen und Zweifeln, Gedanken und Problemen im Kopf wieder zur PIA.
Dort wartete ich lesend auf Locke. Sie kommt sonst immer mit dem breitesten Grinsen ins Wartezimmer, das ich kenne, und holt mich dort ab für das Gespräch. Gestern nicht. Sie wirkte eher reserviert, mit harten Zügen um den Mund. Wir gingen in ihr Zimmer und verglichen die Diary Card aus der Klinik. Alles leer, trotzt hohem Druck, das heißt keine Selbstschädigung. Dann redeten wir erst über den Bufdi und die Kündigung desselben. Im Rollenspiel übten wir das und danach grinste sie mich begeistert an. Sie war sehr stolz auf mich. Und ich erklärte ihr, wie man als soziophober-Blickkontakt-hassender Mensch diese Hürde überwindet: man schaut auf den Mund. Merkt kein Mensch…
Im Anschluss redeten wir noch über die berufliche Reha (was sie eine gute Idee fand) und die Weiterführung der Therapie, falls es wegen der Arbeit nicht geht. Dann kam der schwierigste Teil: ich entschuldigte mich für mein blödes Verhalten letzte Woche und wir redeten noch ein wenig Smalltalk. Und lachten sogar manchmal. Das war schön. Danach war alle Härte aus ihrem Gesicht verschwunden. Und mir fiel ein Stein vom Herzen. Die Fronten waren also wieder geklärt.

Unklarheit

Arbeitsperspektive ungeklärt. Ob ich weiter mache oder aufgebe. Ob ich die Station wechsle oder versage. Am Montag ein Gespräch mit dem Sozialdienst. Thema: wie geht’s weiter? Im Raum steht berufliche Reha. Aber ob das was bringt? Ob es mir schlecht genug geht? Ob ich das Recht dazu habe?
Wie stelle ich mir mein Leben vor? Das ich reich werde hab ich nie verlangt. Nur glücklich werden erhoffe ich mir. Mit dem, was ich tue. Mit dem, was ich bin.
Ich verlange nicht viel: nur eine Ausbildung zu haben und zu arbeiten. Und dabei nicht völlig unter zu gehen.

Zombie-Modus

Am Montag hatte ich einen Termin bei der Psychiaterin. Es wird wieder herumgedoktert. Ich präsentiere: Anna auf Risperidon.
Eigentlich sollte es nur leicht sedierend  wirken. Aber irgendwie haut es mich kurz nach der Einnahme  total um. Wenn ich in der Nacht aufwache fällt jede Bewegung schwer. Es ist, als wäre ich fixiert. Und ich erinnere mich auch nicht an reichlich desorientierte und verrückte Gespräche, die ich unter Risperidon führe. Wie ein Zombie komme ich mir vor… aber wenn es wirkt?! Dann ist es wohl zu ertragen!
Nächste Woche startet das Jahr im Bundesfreiwilligendienst. Ich muss nicht erwähnen wie sehr mir das Angst macht. Wieder alles fremd, neu, anders. Durchstehen. Abwarten. Schaffen.

Die Qual der Wahl

Wir saßen zu sechst in der kleinen Cantine, die noch geschlossen hatte. Wartend darauf, dass einer unserer wichtigsten Tage unseres jungen Lebens begann. Sechs, ich als einzige Frau, zwischen 16 und 30 Jahren. Nach einer kurzen Wartezeit wurden wir in einen Konferenzsaal gerufen.
Das Vorstellungsgespräch begann.
Alle hatten wir dasselbe Ziel. Die Ausbildung des Fachinformatiker ergattern.
Man stellte uns vor, ein Mitarbeiter aus dem Ausbildungszentrum, zwei Mitarbeiter einer IT-Firma, die unser anderer Ausbilder sein wird und die Auszubildendenvertretung. Gleich darauf erhielten wir einen Zettel mit Fragen – Wo sehen Sie sich in 5 Jahren? Was wäre Ihre Superkraft als Superheldin? Welche Erwartungen haben Sie an unser Unternehmen? Wie stellen Sie sich einen Arbeitstag bei uns vor?
Dies musste jeder im Einzelgespräch erläutern. Ich erhielt noch einige weitere Fragen, sodass ein Gespräch entstand. Teilweise mußten wir sogar lachen. Trotz meiner Aufregung wurde es ein lockeres Gespräch. Nach schätzungsweise einer halben Stunde Frage-Antwort-Spiele verließ ich den Raum. Nun folgte eine Gruppenaufgabe. Wir sollten planen, wie man ein Netzwerk in einer IT-Firma aufbaut, welche Struktur geeignet ist, wie man das Internet absichern kann und wie man Internetseiten sperrt. Innerhalb kurzer Zeit lösten wir die Aufgabe.
Nach dem jeder mit seinem Einzelgespräch fertig war, verglichen wir kurz unser Ergebnis aus der Gruppenaufgabe.
Dann hieß es in einem separaten Raum wieder – warten.
Einzel wurde jeder wieder in einen Raum gerufen. Bis nur noch ich und ein weiterer Kandidat übrig blieben.
Ich bekam den Ausbildungsplatz. Lächelnd bestärkten mich die Mitarbeiter, weiter C und C++, zwei Programmiersprachen zu lernen, um so schnell wie möglich mitarbeiten zu können.
Es steht also fest. Ich werde Anwendungsentwicklerin bei der Telekom.