3. März

Ich konnte die Nacht mal wieder nicht schlafen und hab nebenbei im Fernsehen alle möglichen Dokus „gesehen“,  wenn man mein hin und wider mal hin schauen so nennen kann. Erst über einen großartigen Schriftsteller, Philip K. Dick, der unter anderem The Man in the high Castle, Minority Report und Blade Runner (Träumen Androiden von elektrischen Schafen?) geschrieben hat. Der hatte im übrigen auch einen Dachschaden, also gibt es noch Hoffnung für mich. Er war auch zeitweise paranoid und psychotisch.
Dann heute vormittag der Termin beim ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit. Was ich gut fand war, dass sie sich Zeit genommen hat, die Ärztin. Sie war am sich auch so ganz nett. Zuerst hat sie die üblichen Fragen gestellt („Was ist, Ihrer Meinung nach, mit Ihnen los? Warum haben Sie heute den Termin?“).  Und dann weiteres zur Krankheitsgeschichte, über meine Medikamente und weitere Erkrankungen. Dann hat sie den Blutdruck gemessen, neurologische und allgemeinärztliche Tests gemacht und mein Sehvermögen getestet. Dann Urin-Abgabe. Mensch, jedes mal wenn ich beim Arzt bin. Seh ich so verdächtig wie ein Drogenabhängiger aus?
Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob sie das mit der berufsvorbereitenden Maßnahme verstanden hat. Weil sie am Ende meinte, dass sie derzeit nicht denkt das ich eine Ausbildung schaffe, aber darum geht’s ja nicht. Sondern um die Reha. Mhm. Mal sehen.
Jedenfalls war das Fazit Ausbildung im Berufsbildungswerk, also im geschützten Rahmen. Es macht Sinn und ist realistisch. Aber die Vorstellung…Ist gerade nicht so förderlich für mein Selbstbild. Ich wollte immer irgendwas tolles studieren und einen Bachelor oder Master Abschluss… Und ich schaffe nicht mal eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Berufsunglück

Ich lief durch den Park, indem ich jeden Winkel, jeden Baum, jede Bank kannte. Es war Herbst geworden und die kahlen Bäume kratzten am grauen Himmel. Laub fegte durch den scharfen und kalten Wind über die gepflasterten Wege. Ich setzte mich vor den Neptunbrunnen und sah zu, wie die Krähen über ihm kreisten. Graubedeckte Himmel mit dunklen Schwingen gezeichnet. Ich wollte zur Infoveranstaltung des BTZ, um mich weiter über berufliche Reha zu informieren. Aber ich war gnadenlos zu zeitig da und deswegen hatte es mich in den Park des naheliegenden Krankenhauses, in dem ich so viel Zeit verbracht hatte, verschlagen.
Als ich zurück kehrte, ging ich zu A. aus der Selbthilfegruppe, der derzeit auch am BTZ eine Maßnahme macht. Wir unterhielten uns und er lenkte mich von meiner Unsicherheit und Angst ab. Bald schon kamen andere Interessenten, und, oh Wunder, ich kannte einige von ihnen aus der Klinik.  Eine Mitarbeiterin des Beruflichen Trainings kam und begann mit der Präsentation über das BTZ. Sie erklärte das Modell, die Ziele, die Arten und Leistungen. Im Anschluss machten wir einen Rundgang durch das Gebäude und lernten die verschiedenen Arbeitsbereiche kennen. Am meisten interessierte mich der gestalterische Bereich mit Buchbindung, Mediengestaltung und das Labor, sowie die Schneiderei. Mal sehen, ob ich teilnehmen kann und dann die Bereiche kennen lerne…
Wenn die Personalabteilung im Krankenhaus endlich auf meine Kündigung reagieren würde, könnte ich dem Sozialdienst Bescheid geben, das ich mich für die Reha entschlossen habe und das durchziehen möchte. Aber seit einer Woche keine Reaktion…
Das Wochenende wird ruhig, ich werde ein wenig stricken, auf Miezi aufpassen und eventuell durch die Stadt spazieren gehen.  Und möglicherweise Kaffee trinken gehen. Hab ich das schon mal erwähnt? Ich liebe Kaffee.

Ich weiß gerade nicht, wie es mir geht. Ob es mir gut geht. Ob es mir schlecht geht. Gerade bin ich sehr sensibel. Ich könnte wegen Kleinigkeiten in Tränen ausbrechen. Ich höre wieder viel (an euch da oben: langsam nervt’s). Ich habe sehr viel Angst.
Ich wünsche mir…das es langsam mal wieder aufwärts geht. Eigentlich dachte ich, das ich mir das mittlerweile verdient hätte. Irgendwo. Ich kämpfe schon so lange. Und immer wieder gibt es Einbrüche in den vereisten See, unter dem die Depression, die Angst, die Psychose lauert.

Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende

Ich konnte kaum schlafen, denn ich wusste, die beiden Termine die vor mir lagen würden mir alles abverlangen. Zuerst ein Gespräch mit W. vom Sozialdienst, danach ein Gespräch mit Locke, nach dem unmöglichen Aufnahme/Einweisungsgespräch letzter Woche.
Ich wartete in der PIA auf W., weil er sich dort mit mir treffen wollte. Der Sozialdienst mit zwei Mitarbeitern ist der PIA angeschlossen, so wie es für jede Station einen Sozialarbeiter gibt. Früher, das heißt bis Sommer diesen Jahres, lag der Sozialdienst mit im Haus B, in dem die gesamte psychiatrische Abteilung untergebracht ist. Dies hatte sich aus Platzmangel verändert, sodass wir quer durch das Krankenhausgelände zu seinem Büro gingen.
In dem kleinen Zimmer setzte ich mich und ich musste kämpfen, dass ich nicht direkt in Tränen ausbrach. Ich erklärte ihm erst meinen (kurzen und schwierigen) beruflichen Werdegang. Abitur 2014, Studium…Psychiatrie. Ausbildung….Psychiatrie. Bufdi….Psychiatrie. Alles, was ich je begonnen hatte, endete in der Psychiatrie, wo ich völlig entkräftet wieder zu mir kam. Er hörte mir zu und riet mir dann zu beruflicher Reha. Davon hatte ich am Freitag bei der Psychiaterin bereits gehört und mir im Vorfeld Gedanken dazu gemacht. Ich wusste, das es derzeit wahrscheinlich der beste Weg für mich war. So gab er mir alle nötigen Informationen, erzählte von Voraussetzungen und Anträgen, dem Weg dorthin. Für mich als Schwerbehinderte sei es recht einfach, da das Amt nicht noch einmal extern (beim Amtsarzt und Amtspsychologen) prüfen müsse, das wirklich Bedarf an der Maßnahme war. Die Bearbeitungszeit und der Antrag dauert ohne Ausweis bis zu 3 Monate…mit Behindertenausweis aber wesentlich schneller.
Die Maßnahme, die ich machen sollte, lautet Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BVB). Definiert wird sie auf der Homepage des Trainingszentrums folgendermaßen:

Angeboten wird diese Einzelmaßnahme seelisch behinderten Menschen, die mit einer anschließenden Ausbildung ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt erreichen wollen. — Quelle: BTZ Dresden

Die Dauer liegt mit 11 bis maximal 18 Monaten vor. Denn, Hand aufs Herz: nach 3 Versuchen muss ich mir eingestehen, dass ich noch keine Ausbildung schaffe. Am Donnerstag aller zwei Wochen bietet das BTZ Dresden eine Infoveranstaltung an, die sozusagen verpflichtend für zukünftige Teilnehmer der Maßnahmen ist. Man bekommt erst einen Überblick über das BTZ allgemein, die Leistungen etc. und dann einen Rundgang durchs Gebäude. Dort werden dann alle Stationen vorgestellt.
Zugegeben, anfangs war ich von der Idee nicht begeistert. Eine Maßnahme, um überhaupt eine Ausbildung zu schaffen? Ich hab sogar mein Abitur geschafft! Aber dann überlegte ich und sah es ein, das es mit Aufgeben und Versagen und Scheitern nichts zu tun hat. Denn es ist eher ein Versagen, würde ich nochmal 2 Ausbildungen beginnen und nicht schaffen, so wie das Studium, Ausbildung, Bufdi…
W. riet mir also, die Infoveranstaltung zu besuchen und dann noch mal über meine Entscheidung Bescheid zu geben;  ob der Antrag gestellt wird oder nicht. Dabei werde ich nämlich vom Sozialdienst unterstützt. Danach lief ich, mit vielen Fragen und Zweifeln, Gedanken und Problemen im Kopf wieder zur PIA.
Dort wartete ich lesend auf Locke. Sie kommt sonst immer mit dem breitesten Grinsen ins Wartezimmer, das ich kenne, und holt mich dort ab für das Gespräch. Gestern nicht. Sie wirkte eher reserviert, mit harten Zügen um den Mund. Wir gingen in ihr Zimmer und verglichen die Diary Card aus der Klinik. Alles leer, trotzt hohem Druck, das heißt keine Selbstschädigung. Dann redeten wir erst über den Bufdi und die Kündigung desselben. Im Rollenspiel übten wir das und danach grinste sie mich begeistert an. Sie war sehr stolz auf mich. Und ich erklärte ihr, wie man als soziophober-Blickkontakt-hassender Mensch diese Hürde überwindet: man schaut auf den Mund. Merkt kein Mensch…
Im Anschluss redeten wir noch über die berufliche Reha (was sie eine gute Idee fand) und die Weiterführung der Therapie, falls es wegen der Arbeit nicht geht. Dann kam der schwierigste Teil: ich entschuldigte mich für mein blödes Verhalten letzte Woche und wir redeten noch ein wenig Smalltalk. Und lachten sogar manchmal. Das war schön. Danach war alle Härte aus ihrem Gesicht verschwunden. Und mir fiel ein Stein vom Herzen. Die Fronten waren also wieder geklärt.