Dr. House und die Tabletten

Wer mal unter „Vita“ meine Diagnosensammlung durchgelesen hat, kann sich vorstellen, wie groß die Verwirrung meinerseits und seitens der Ärzte über meinen Zustand ist. Es gibt Fraktionen, die sich darüber sicher sind, ich sei der typische Borderliner, dann wiederum welche, die finden das gar nicht und ich sei ein klassischer Fall von psychotischem Erleben in Kombination mit Depression. Hie und da schreien manche daraufhin, ich habe eindeutig spezifische Phobien und soziale Ängste, meine Insuffizienzgefühle stammen daher und nicht durch eine Depression.
Manchmal würde ich dann am liebsten lautstark auf den Boden stampfen und um Ruhe bitten. Ich komme mittlerweile selbst nicht mehr mit.
Ich schwelge in Erinnerung an Liane, meine Oma väterlicherseits, die 2009 verstorben ist, wenn ich Dr. House anschaue. Vor ihrem Tod, ich war so 12 oder 13 Jahre, haben wir das manchmal zusammen gesehen oder darüber geredet. Nun habe ich in letzter Zeit nicht allzu viel vor oder kann mich zu nichts motivieren. Dann gehe ich auf Diagnosensuche mit Dr. House und mache das, was die Ärzte sonst mit mir machen. Ich sehe Aufnahmen von MRTs, von Lumbalpunktionen, von Tests, die die Zurechnungsfähigkeit oder die Stärke und die Art der Aphasie messen sollen. Und ich fühle mit den Patienten, denn ich habe diese Tests alle schon gemacht. Mehrmals sogar.
Ich weiß nicht, wie das Leben derzeit so läuft, denn ich laufe nicht mit. Tage verbringe ich auf dem Sofa, zu Hause, vor dem Laptop, mit dem Doktor.
Heute ein Termin bei Locke. Es stand nichts an und dennoch war das Gespräch gut. Fazit der Sitzung: ich soll die Depression, die seit wenigen Wochen wieder in mir aufgekeimt ist, bekämpfen. Mein derzeitiger Ansatz, das ich ja schon alles erdenklich getan habe, wird durch die Tatsache untergraben, dass ich seit zwei Monaten keine Tabletten mehr nehme. Und es brauchte einige Bedenkzeit, bis mir klar geworden ist, dass es derzeit einfach noch nicht ohne geht. Sowohl nicht ohne Antidepressiva, als auch ohne Antipsychotika.
Am Montag dann der Termin beim Psychiater (dem ich vor vier Wochen gesagt habe, ich will keine Medikamente nehmen…wie peinlich) und das hoffen, dass die Pillen wirken. Bis dahin schaue ich Dr. House zu, wie er Todkranken wieder auf die Beine hilft.

Wenn ich die Sorgen vergesse

Die Tage zu Hause waren geprägt von Hitzezustandsvermeidung und Lachen. Endlich mal wieder. Gemeinsam ist man schließlich weniger allein. Es tat gut, mit meinen Geschwistern (zumindest 2/3) zusammen zu sein. Bei Yogi, meiner Katze zu sein. Geborgen zu sein. Frei zu sein.
Holunderblüten sammeln in Begleitung des dreifarbigen Mäusetöters. Den 92. Geburtstag meiner Oma zu feiern. Meine Eltern wieder zu sehen. In meinem alten Kinderzimmer zu liegen und einfach zu lesen.

Ungewisse Angst

In wenigen Minuten trete ich meinen Weg zur PIA an. Ich weiß nicht, was mich heute, an dem Tag an dem ich gleich zwei Termine habe, erwartet. Jede Faser meines Körpers ist zum zerreißen gespannt. Ich hab Angst. Wovor? Ich weiß es nicht. Einerseits natürlich vor dem Termin und was dabei heraus kommt, andererseits habe ich in letzter Zeit so eine Grundangst, von der ich nicht weiß warum sie da ist, wann sie gekommen und ist und wann sie geht, wie ich mit ihr umgehen soll.
Es bleibt abzuwarten.
Das Denken fällt mir so schwer und das Schreiben auch. Ich fange jeden Satz gefühlte hundertmal an um ihn dann doch wieder zu löschen. Das Sprechen ist am Schlimmsten, da habe ich die meisten Fehler. Ich stammle und finde die Worte nicht. Oder rede kurz gesagt Unsinn.
Ich habe Angst der Psychiaterin zu sagen, dass ich keine Medikamente mehr nehme. Oder der Psychologin, was mich so sehr unter Stress setzt und was ich befürchte. Ich weiß, das ich sagte, das sie verständnisvoll ist. Sie wird es verstehen. Ich kann trotzdem nicht darüber reden.

Herr Doktor, Herr Doktor!

Nachdem ich gestern Abend Günther Jauch – Das lange Warten auf den Arzttermin angesehen habe, geht mir das Thema nicht mehr aus dem Kopf. Schließlich bin ich auch chronischer Arztbesucher, habe leider schon oft die Erfahrung machen müssen, dass man nur mit Vitamin B einen Facharzttermin bekommt und sehe mich immer wieder mit langen Wartezeiten konfrontiert. Dies hat vorerst für mich ein Ende -schließlich sorgt man sich in der Psychiatrischen Institusambulanz medizinisch um mich- aber für viele psychisch Kranke ist dieses Thema noch immer ein Problem.
Wenn sich depressive Symptome verschlimmern, die Panikattacken häufiger kommen oder erstmals Stimmen auftauchen ist guter Rat teuer. Häufig verweisen Freunde, Bekannte und natürlich der Hausarzt an Spezialisten, in diesem Fall an Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie. Das es eine Ärzteflucht vom Land gibt, ist bekannt. Das die Ärzte im allgemeinen immer älter werden und viele Studenten der Medizin ihr Studium abbrechen, ebenso. Doch auch der Fachärztemangel macht sich mittlerweile in unseren Reihen breit. Vor allem im psychiatrischen Bereich ist dies fatal. Schließlich gehören Symptome wie Suizidalität oder Selbstverletzung zu vielen unterschiedlichen behandlungsbedürftigen Störungen. Und sie können dafür sorgen, dass der Termin, auf den man Monate wartet, niemals wahrgenommen wird…
Man darf schlichtweg nicht unterschätzen, dass auch psychiatrische Erkrankungen lebensgefährlich sein können. Ob Kardiologe, Orthopäde oder Neurologe – es leuchtet ein, dass ein zu langes Warten zu letalen Ausgängen von scheinbar harmlosen Symptomen führen kann. Bei psychischen Erkrankungen sieht es hingegen anders aus. Einige Fakten – Im Jahr 2010 starben 7.000 Menschen mit Depressionen wegen Selbsttötung. 15% der Magersüchtigen sterben. Ebenso sterben 10-15% der Schizophrenen durch Suizid.
Auch ich musste, als ich nach Dresden gegangen bin, zu vier verschiedenen Ärzten in der näheren und weiteren Umgebung. Alle nahmen keine neuen Patienten auf, bis ich einen Arzt fand, der seine Praxis erst neu eröffnet hatte und demnach noch freie Kapazitäten besaß. Hätte ich auf einen Termin beim Facharzt warten müssen, weiß ich nicht, was noch passiert wäre. Wahrscheinlich hätte ich mich noch mehr in die Psychose hineingesteigert und wäre noch weiter aus der Realität geflohen. Und ich bin in diesem Punkt kein Einzelfall. Auch das Warten auf einen Therapieplatz beim psychologischen Psychotherapeuten zieht sich über Monate hin, nicht selten sogar ein halbes bis ein ganzes Jahr. Damit habe ich leider auch Erfahrungen, bisher hatte ich aber immer das Glück als „komplizierter“ Fall gehandhabt zu werden, weswegen ich ja letztendlich in der PIA gelandet bin.
Quellen
1) Ärztemangel, ArztWiki
2) Tödliche Magersucht, ntv
3) Allianz Deutschland AG (Hrsg.): „Depression – Wie die Krankheit unsere Seele belastet“, München 2011
4) Gesundheitsgesetze, t-online
5) Kabinett beschließt GKV-VSG, BMG

Über die Verfolgung psychisch Kranker – #BloGeHa

Dieser Beitrag ist ein Teil der Blogparade von Sarah Maria.
Nicht nur, weil ich in der Pegida-Stadt Dresden wohne, geht mir dieses Thema sehr nahe. Nicht nur, weil ich bekennend linkspolitisch bin, weil ich mich sehr für Politik und Geschichte interessiere, weil ich jeden Menschen liebe, dem Werte wie Akzeptanz, Offenheit und Freude am Leben liebe. Nicht nur, weil ich möchte, dass diese Welt, unsere Welt bunt bleibt. Sondern aus dem Wissen heraus, was mit mir geschehen wäre, wäre ich einige Jahrzehnte eher geboren.

Die Geschichte der Euthanasie (Fremdwort, gebildet aus altgriechisch εὖ „gut“, „schön“ und θἁνατος „Tod“) ist stark durch die Zeit des Nationalsozialismus geprägt, in der Morde unter dem Vorwand der „Rassenhygiene“ ebenfalls und täuschend als Euthanasie bezeichnet wurden.

Ich war in meinem bisherigen Leben schon drei Mal wegen psychischer Erkrankungen im Krankenhaus. Früher hätte man „Irrenanstalt“ dazu gesagt und sich Menschen vorgestellt, die lallend in einem sterilen Gang sitzen, sich hin- und herwiegen, mit sich selbst reden und den „Gesunden“ verstörende Blicke zuwerfen. Man kennt diese Klischees und bis heute sind die meisten Menschen wenig aufgeklärt, wie der Alltag und das Leben in einer Psychiatrie abläuft. Doch Kranke wegzusperren, sie in Irrenanstalten von den „Normalen“ abzugrenzen reichte nicht. Unter der Aktion „T4“ wurden im nationalsozialistischen Deutschland knapp 200.000 psychisch Kranke ermordet.
Lebensunwertes Leben. Schon allein dieser Begriff schleudert einem die volle Abartigkeit dieses Systems entgegen.
Was wäre mit mir passiert? Hätte man mich schon mit 14 Jahren, als ich zum ersten Mal in der Psychiatrie war, aus meiner Familie genommen, mich in einem Heim, einer Heilanstalt oder in einem Lager untergebracht? Wäre ich bereits als Kind ermordet wurden oder hätte ich bis zum Ausbruch meiner Psychose im jungen Erwachsenenalter gewartet? Schizophrene Menschen hatten es noch nie einfach. Weder vor den Gräueltaten der Nazis, noch währenddessen und auch heute noch gibt es viele Stigmatisierungen psychisch Kranker. Aber „T4“ zeigt, was geschehen kann, wenn man in Klassen denkt. Wenn man der Meinung ist, dass ein Leben weniger wert ist als das andere.
Ich bin selbst „seelisch behindert“, „psychisch krank“,“verrückt“. Anders. Einfach anders, wie meine Gleichaltrigen, Kommilitonen, Familienmitglieder. Aber auch alle anderen sind irgendwo anders. Ob es nun um Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Behinderungen oder andere Erkrankungen geht. Ich habe viele Bekannte und Freunde, die anders sind. Meine Klassenkameradin, die eine dunkle Hautfarbe hat. Mein Freund, der schwul ist. Viele Bekanntschaften aus der Psychiatrie, die „Borderliner“ sind, Depressionen oder Angstzustände haben. Und ich, ich bin psychotisch. Wir alle unterscheiden uns von einander.
Man kann nur mutmaßen, was aus mir geworden wäre, wäre ich vor mehr als 75 Jahren geboren. Aber eines steht fest – das es nie wieder soweit kommen darf. Das es nie wieder etwas vergleichbares geben soll. Und wenn ich sehe, wie tausende Menschen gegen „Andere“ demonstrieren, weil sie Angst haben, dann bekomme auch ich Angst. Denn es ist nur ein kleiner Unterschied, wer „anders“ ist und wer nicht. Angefangen bei Religionen wird bald auch jeder Freidenker als anders angesehen. Und dabei sollte man jede Form der Andersartigkeit nicht nur anerkennen, sondern auch als etwas Besonderes, ja, als etwas Schönes und Wünschenswertes ansehen. Denn sie ist es erst, die uns ausmacht. Unsere Welt ist so unterschiedlich, wie sie nur sein könnte.Und statt uns gegenseitig zu hassen und zu bekämpfen sollten einige ihre Augen aufmachen und sie als das sehen was sie ist – unsere vielfältige, wunderschöne Erde, mit Individuen so einzigartig wie nur möglich.
#BloGeHa von Sarah Maria
Quellen
1) Geschichte der Euthanasie, Wikipedia
2) Euthanasie im Nationalsozialismus, Tagesschau