Ich ging weiterhin zur Schule und fiel dort nicht weiter auf. Langsam begann ich mich aber immer weiter zurück zu ziehen. Ich traf mich seltener mit Freunden, war fast nur noch in meinem Zimmer und vergaß Kontakte zu pflegen. Dies hatte zur Folge das sich einige Freunde von mir abwandten, weil ich nicht mehr für sie da sein konnte. Ich wusste selbst, das es meine eigene Schuld war, aber ich konnte diesen Zustand nicht ändern. Das, was ich erlebte nennt man Prodromalstadium. Denn ich war auf einem Weg, der keine Abzweigungen hatte, um ihn zu verlassen. Ich lief immer weiter auf diesem Pfad. Und das allein, denn niemand schien die Veränderungen wahr zu nehmen. Vor allem verlor ich den Kontakt zu meinem besten Freund Jens, der selber eine schwere Zeit durchmachen musste. Aber ich schaffte es nicht für ihn da zu sein, war viel zu beschäftigt mit mir selbst. Außerdem merkte ich das erst viel zu spät.
Dennoch hatte ich eine Stütze – meine Beziehung mit André. Obwohl die Symptome nie ganz abklangen half sie mir.
Ich war wenige Wochen vor den Abitur-Prüfungen. Ständig hörte ich ein murmeln, rauschen. Unwissend, wie ich damals war, dachte ich es sei eine Form von Tinnitus. Doch heute weiß ich, das dies eine Form von akustischen Halluzinationen ist – mein Stimmengewirr, welches ich fast immer höre. Während den Prüfungen ging es mir besonders schlecht. Von allen Seiten prasselten Gefühle, Gedanken und Reize auf mich ein. Ich konnte nichts mehr hören, außer das ständige Gemurmel. Sobald ich das Schulgelände verließ schien mich jeder zu beobachten, einige gar zu verfolgen. Ich wusste nicht ein noch aus. Aber irgendwann endete auch diese Phase und für ein paar Monate hatte ich Ruhe vor den Stimmen und Eindrücken.
Der Beginn
Ich weiß rückblickend nicht mehr genau, wann es angefangen hat. Wenn ich allerdings überlege komme ich zum Schluss das alles seinen Anfang im Herbst 2012 hatte.
Gerade hatte ich die letzten zwei Jahre meiner Schulzeit angefangen. Zukunftsangst und Sorge, ob ich die Belastung aushalte dominierten meine Gedanken. Ich fragte mich – schaffe ich es weiterhin? Bin ich bereit für ein Studium?
Meine Gedanken rasten. Es wurden immer mehr und mehr, die sich in einem Strudel zu drehen schienen und einer Welle gleich mit voller Wucht in mein Innerstes trafen. Immer häufiger wurde ich unruhig, nervös, überfordert. Wenn ich im Bus nach Hause fuhr schlief ich ein, es war alles zu viel, zu anstrengend. Zunehmend wurde ich depressiv. Dabei muss erwähnt werden, das ich bereits 2010 wegen Depressionen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie war. Nun wurden diese Gedanken immer schlimmer. Außerdem war ich grundlos gereizt, hatte meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Was nun wirkt wie Probleme in der Pubertät stellte sich bald als tief greifende, schwere psychische Beeinträchtigung heraus.
Denn das was mich nun heim suchte veränderte alles.
Du bist hässlich. Wertlos. Scheiße. Anna. Ritzen.
Ich drehte meinen Kopf in alle Richtungen um die Ursache für diese Worte auszumachen. Mein Gedankensturm tobte innerlich weiter. Meine Ohren brummten, mein Kopf schien zu zerplatzen. Es tat alles so weh. Ich bekam Panik. Was passierte hier mit mir? Was sollten diese Worte bedeuten?
Ängstlich, verstört und mit Tränen in den Augen berichtete ich meiner damaligen Psychologin meine Erfahrungen mit den Stimmen, die nur ich hörte. Leider erkannte sie die Gefahr, die sich anbahnte, nicht und tat die Stimmen als Teil der sogenannten Dissoziation ab.
Resignierd musste ich feststellen, dass ich mit ihnen alleine war. Für Wochen gab es nur noch sie und ich. Was ich noch nicht wusste war, dass sie bald meine engste Freundschaft zerstören, den Bezug zu mir selbst verändern und mein Leben zerfetzen würden. Für den Moment aber waren sie das bedrohlichste, was ich je erlebt habe.