II – Woche 13 – Psychiatrie

Die Tagen gehen ineinander über, fließend, als könnte mich die Zeit einem Wasserfall gleich davon tragen.
Die Abende auf Station sind die schlimmsten. Wenn die Besuchszeiten vorbei sind stehe ich allein da. Dann drängen sich die quälenden Gedanken auf, die Sorgen und Probleme. Oft mals steigere ich mich da so hinein, dass ich Prothazin als Bedarfsmedi nehme. Ich weiß das das keine Lösung für immer ist, aber es hilft mir den Bezug zur Realität nicht ganz zu verlieren. Denn das fällt mir in meinem Grübelzwang sehr schwer. Meine Gedanken sind dann häufig in einer weit entfernten Zukunft und ich mache mir Sorgen über alle vorstellbaren Probleme – schweife ab, verliere den rationalen Blick auf die Geschehnisse und kann diese Flut an Gedanken nicht stoppen. Ich weiß dann längst nicht mehr, in welchem Hier und Jetzt ich mich befinde.

I – Woche 13 – Psychiatrie

Heute habe ich mir mit dem Fachpfleger unserer Station die Tagesklinik kurz angeschaut. In der Visite wurde der Rahmen von ein bis zwei Wochen besprochen, je nachdem wie der Patientenstand ist. Denn es sollen recht viele Patienten da sein. Ich habe einige gesehen, war vor allem überrascht das es deutlich mehr junge Patienten gibt als ältere – auf den Stationen auf denen ich war, war das meistens anders.
Endlich wird auch das abhängig-machende Benzo Tavor abgesetzt. Es wird sicherlich wieder sehr schwer, denn die Entzugserscheinungen setzen schon nach wenigen Wochen ein. Und auch letztes mal, im Dezember, hatte ich deutliche Entzugserscheinungen. Angefangen mit Unruhe und Angst über starkes zittern. Wenn ich daran denke was es noch für andere (illegale) Stoffe gibt, möchte ich nicht an diesen Entzug denken. Das muss die Hölle sein – mir reicht das Tavor schon aus!
In der Visite wurde gesagt das ich medikamentös trotzdem sehr hoch eingestellt bin. Aber es gibt immer noch quälende Restsymptome…die wahrscheinlich nie wieder ganz zurück gehen. Das macht mir schon Sorgen. Denn Sorgen habe ich genug. Angst, ob meine Bewerbung für die Ausbildung angenommen wird. Zweifel ob es das Richtige ist. Ob ich das Studium nicht besser weiter führen sollte. Und ob die Psychose wieder kommt. Das macht mir am meisten Angst. Ich fürchte mich so, dass bald alles wieder von vorne beginnt. Die Ängste, die Stimmen, die mich drängen mich zu verletzen. Zumal das statistisch gesehen die häufigste Verlaufsform ist – wiederkehrende Episoden….aber was wird dann mit der Ausbildung, wenn ich wieder wochenlang in der Psychiatrie hocke? Es ist so unheimlich stressig, sich darüber Gedanken zu machen. Diese Grübelei lässt sich auch nicht abstellen. Es ist einfach quälend. Das sorgt für noch mehr negativen Stress, der Stress wiederum schürt das Feuer der Psychose…

Schatten und Ängste

Im September brach die Psychose aus. Einige Monate hatte ich Ruhe von ihr, wurde nicht durch Stimmen beleidigt oder von Angst getrieben. Aber nach einem extremen Angst- und Gefühlsausbruch Anfang September schlich sich die Krankheit in meinen Leben ein. Zuerst fiel es mir schwer unter Leute zu gehen, das Haus zu verlassen und einzukaufen. Ich merkte das ich mich wieder zurück zog, am liebsten allein sein wollte und meine Stimmung generell im Keller war.  Unglücklicherweise zog ich gerade in dieser Zeit in meine eigene Wohnung. Aber ich schaffte es kaum mitzuhelfen, war ständig gereizt oder verzweifelt. Nach einer Verletzung, die chirurgisch versorgt werden musste war klar – das ist eine neue Krise, die mit Medikamenten behandelt werden muss. Einige Tage danach machte ich mich auf die Suche nach einem Psychiater. Zu vier verschiedenen Ärzten musste ich gehen, wurde allein zurück gelassen und weg geschickt. Alle nahmen keine neuen Patienten auf. Kurz davor aufzugeben bekam ich den Tipp im hiesigen Einkaufscenter zu einem neuen Psychiater zu gehen. Ich ging sofort zu ihm und fragte nach einem Termin. Die Sprechstundenhilfe antwortete, in zwei oder drei Wochen sei ein Termin frei. Ich brach in Tränen aus – meine Welt zerfiel in tausend Teile. Zum Glück hatte der Arzt meinen emotionalen Ausbruch vor der fassungslosen Sprechstundenhilfe mitbekommen und nahm mich sofort dran. Er war sehr nett und einfühlsam, sprach lange mit mir und verschrieb mir das Antidepressivum Fluoxetin und zur Bedarfsbehandlung Promethazin. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit langer Zeit verstanden und ernst genommen. Doch was noch folgte ahnte niemand.
Die nächsten Wochen verbrachte ich im Bett. Ich ging nicht aus dem Haus, wusch mich seltener und vergaß Aufgaben wie Zähne putzen. Nachts lag ich wach. Und plötzlich bekam ich vor den Nächten große Angst. Täuschte ich mich oder tanzten da Schatten an der Wand? Was war das für ein Geräusch? Warum lesen die Schatten meine Gedanken?
Blanke Panik ergriff mich immer häufiger. Die Nächte kontrollierte ich mehrmals die Türen und Fenster, damit die Schatten nicht in die Schlafstube kamen. Ich hatte solche Angst. Meistens nahm ich in dieser Zeit Promethazin. Es half aber häufig nur wenig. Dies war die schlimmste Zeit meines ganzen Lebens.
Die Schattenfrau schien mich immer zu verfolgen, sie war die Anführerin der anderen Schatten. Sie war die Stimme, die zu mir sprach, meine Gedanken lesen konnte und Gedanken zwischen schieben konnte. Ich fürchtete die Dunkelheit immer mehr und schlief nur noch mit Licht (zum Beispiel einer Kerze) ein.
Als ich im Oktober den nächsten Termin hatte und ein psychologisches schreiben von einer Psychologin des sozialpsychiatrischen Dienstes vorlegte wurde ich sofort eingewiesen. Im Krankenwagen fuhr ich ins  Krankenhaus Friedrichstadt. Es war die beste Wahl…mein Psychiater handelte rückblickend eindeutig richtig.

III – Woche 12 – Psychiatrie

Trotz dessen das viele Ärzte fehlten, wurde heute eine Visite gemacht.
Mir geht es heute gar nicht gut. Gestern hatte ich mich wieder verletzt, es musste versorgt werden. Immer noch bin ich ängstlich und nervös, sehr unruhig und durcheinander. In der Visite wurde mir klipp und klar gesagt das ich wegen Hospitalisierung so bald wie möglich entlassen werden soll. Einerseits verstehe ich das schon, andererseits sind die Ängste darüber sehr groß. In zwei Wochen ungefähr soll es deswegen auf die Tagesklinik gehen.
In der Ergotherapie webe ich ein rundes Sitzkissen. Es soll mir, wenn es fertig ist, als Grundlage zum meditieren und Yoga dienen. Weben ist sehr beruhigend, dennoch fordernd. Ich mag es, die unterschiedlichen Wollfäden zu spüren, ihre Eigenarten während des Webens zu erkunden und Stück für Stück, Reihe für Reihe weiter zu kommen.

Eine Herde schwarzer Schafe

Wir laufen im gleichen Rhythmus nebeneinander her. Flüchtige Blicke der Anderen. Wir sind die Herde schwarzer Schafe in einer Welt, die nur die anderen, weißen Schafe akzeptiert. Inmitten der Anderen fallen wir auf. Laufen zwischen ihnen und gehören doch nicht dazu. Niemals werden wir dazu gehören, das wissen wir. Dennoch wollen es einige versuchen. Sie brechen unseren Rhythmus und passen sich den Anderen an.

II – Woche 12 – Psychiatrie

Diese Woche begann für die Station sehr schlecht. Alle drei Ärzte der Station sind krank, eine Vertretung ist für die anderen offenen Stationen ebenso im Dienst sodass es für die Dienstärzte jetzt Stress pur gibt. Morgen wird die Visite ausgesetzt, sie soll am Freitag stattfinden. Dafür haben wir morgen die Wanderung, die sonst immer freitags ist.
Im Handwerk bin ich mit einem größeren Korb fertig geworden. Nun widme ich mich erstmalig dem weben. Vor allem der Anfang des Webens ist sehr kompliziert…ich hoffe das mir der Webrahmen diese Fehler verzeiht und ich dennoch ein schönes Stück heraus bekomme.
Die Neuroleptika dämpfen meine Gefühle und Emotionen sehr stark, finde ich. Es gibt kein Hoch und kein Tief, nur eine unangenehme „Mitte“, in der mir alles egal ist. Auf die Frage wie es mir geht antworte ich meist mit „Geht so.“ Denn es ist schwer zu beschreiben wie sich dieser Zustand anfühlt.
Morgen habe ich meinen zweiten Termin bei der Psychologin. Sie achtet sehr auf mich und macht lieber zwei kurze Gespräche als ein langes. Denn ich bin immer noch schnell ermüdet und kaputt.
Heute war ich mit meinem Mitpatienten Jens (Achtung, nicht der Freund Jens) zum heilsamen singen im sogenannten Raum der Stille. In ihm finden normalerweise Gottesdienste statt, aber eben auch diese Singgruppe. Kanons, Mantras und aufmunternde Lieder wie „Ich danke dem Leben“ wurden gesungen, nicht mit dem Hintergrund choral perfekt zu sein sondern Emotionen zu spüren, Kraft zu schöpfen und Energien zu bündeln. Mir waren manche Körperübungen etwas unangenehm, aber ich werde sicherlich wieder einmal daran teilnehmen. Denn singen in der Gemeinschaft tut einfach gut.

I – Alptraum

Ich bin ein ganz normales Mädchen, dass an einem Radio herum spielt um seinen Lieblingssender einzustellen. Plötzlich höre ich die Nachricht – die Deutschen sind in Polen ein marschiert! Ängstlich laufe ich durch das Haus, suche meine Eltern, die ich nicht finden kann. Sie sind verschwunden. Noch immer höre ich die Stimme des Nachrichtensprechers. Er redet außerdem von Atombomben. Mir wird plötzlich klar – das Radio, das in unserem Haus steht ist die Atombombe, von der er redet! Nun ist guter Rat teuer. Das Schicksal der Menschheit liegt in meinen Händen. Ich gehe zu dem Radio zurück und öffne eine Schachtel, die in dem Radio eingelassen ist. In ihr liegen Münzen. Ich durchsuche die Schachtel bis ich zwei japanische Münzen finde. Mir wird klar – damit habe ich das Urteil gefällt, wohin die Atombomben fallen. Vor Schreck lasse ich die Münzen fallen. Und wache auf.
Ein verstörender Traum, der mir viel Angst gemacht hat. Ich weiß nicht was das bedeuten könnte…

I – Woche 12 – Psychiatrie

Langsam neigt sich die Therapie im Krankenhaus Friedrichstadt Dresden dem Ende zu. Zwar gibt es noch keinen genauen Termin, aber früher oder später werde ich auf mich selbst gestellt sein und entlassen werden. Ich hoffe das geht nicht allzu schnell, denn „gut“ oder „gesund“ fühle ich mich noch lange nicht. Derzeit dominieren wieder die Ängste und Gedanken daran,  das andere mich auslachen und abstoßend finden könnten. Vor allem wenn ich im Straßenverkehr bin fällt mir dies schwer. Auch die Reizüberflutung, die ich außerhalb erlebe, ist furchtbar und kaum auszuhalten. Oft rede ich mit mir selbst, um mich zu beruhigen. Aber es ist schön, dass ich überhaupt in den Stadtausgang und damit nach hause kann.

Von Prüfungen und Stimmgewirr

Ich ging weiterhin zur Schule und fiel dort nicht weiter auf. Langsam begann ich mich aber immer weiter zurück zu ziehen. Ich traf mich seltener mit Freunden, war fast nur noch in meinem Zimmer und vergaß Kontakte zu pflegen. Dies hatte zur Folge das sich einige Freunde von mir abwandten, weil ich nicht mehr für sie da sein konnte. Ich wusste selbst, das es meine eigene Schuld war, aber ich konnte diesen Zustand nicht ändern. Das, was ich erlebte nennt man Prodromalstadium. Denn ich war auf einem Weg, der keine Abzweigungen hatte, um ihn zu verlassen. Ich lief immer weiter auf diesem Pfad. Und das allein, denn niemand schien die Veränderungen wahr zu nehmen. Vor allem verlor ich den Kontakt zu meinem besten Freund Jens, der selber eine schwere Zeit durchmachen musste. Aber ich schaffte es nicht für ihn da zu sein, war viel zu beschäftigt mit mir selbst. Außerdem merkte ich das erst viel zu spät.
Dennoch hatte ich eine Stütze – meine Beziehung mit André. Obwohl die Symptome nie ganz abklangen half sie mir.
Ich war wenige Wochen vor den Abitur-Prüfungen. Ständig hörte ich ein murmeln, rauschen. Unwissend, wie ich damals war, dachte ich es sei eine Form von Tinnitus. Doch heute weiß ich, das dies eine Form von akustischen Halluzinationen ist – mein Stimmengewirr, welches ich fast immer höre. Während den Prüfungen ging es mir besonders schlecht. Von allen Seiten prasselten Gefühle, Gedanken und Reize auf mich ein. Ich konnte nichts mehr hören, außer das ständige Gemurmel. Sobald ich das Schulgelände verließ schien mich jeder zu beobachten, einige gar zu verfolgen. Ich wusste nicht ein noch aus. Aber irgendwann endete auch diese Phase und für ein paar Monate hatte ich Ruhe vor den Stimmen und Eindrücken.