Von Menschen und Ärzten

Dies ist mein zweiter Beitrag einer Blogparade – diesmal von swapy – zu einem meiner absoluten Lieblingsthemen: die Rolle der Ärzte in der Gesellschaft, der Bezug zu den Patienten und dem Arztberuf an sich.
Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Es gibt so viele Begegnungen mit Ärzten, was es mir unmöglich macht, alles zusammenzufassen. Aber in den letzten Monaten hatte ich kontinuierlichen Kontakt mit Ärzten, weswegen es mir unter den Nägeln brennt, darüber einen Beitrag zu schreiben. Um mich und meinen Blog vorzustellen: ich bin Psychiatrieerfahrene, seit knapp 5 Jahren in Behandlung und hatte bisher drei Aufenthalte in Krankenhäusern aufgrund von psychischer Krankheit.
Das Vertrauen
Es ist mir noch nie leicht gefallen, über meine Sorgen und Probleme zu reden. Irgendwann jedoch, nach jahrelanger Behandlung, ist es mir jedoch immer leichter gefallen, darüber zu reden. Am Anfang meiner Psychose hingegen hatte ich auf einmal keinerlei Vertrauen mehr in die weißbekittelten Menschen vor mir. Wie sagt man jemanden, dass man Angst vor Dingen hat, die nur Kinder fürchten? Wie erklärt man, was die quälenden Stimmen sagen, was man sich tagtäglich von einer nichtexistenden Schattenfrau anhören darf? Ich konnte es nicht und deutete maximal an, was ich empfand.
„Hören Sie Dinge, die andere nicht hören?“
Es waren immer wieder dieselben, typischen Fragen, die ich mir anhören durfte. Immer wieder. Immer wieder dieselben Tests, um zu prüfen wie mein Gedächtnis, meine Konzentration ist.
„Was ist der Unterschied zwischen einem Kind und einem Zwerg?“
Ich konnte diese demütigenden Fragen nicht mehr erhören. Konnte nicht mehr ertragen, für wie unzurechnungsfähig man mich hielt.
Irgendwann jedoch stellte ich fest, wie wichtig diese Fragen waren um abzugrenzen, welche Symptome ich habe. Die meisten Ärzte, wage ich zu behaupten, wollten mich nicht demütigen. Einige wenige lachten in den Visiten manchmal leise, wenn ich mich versprach, weil ich so durcheinander war. Auch ließ man mich nicht immer ausreden oder fragte, ob ich mir das Ganze ausdachte. Das war natürlich wirklich in dem Moment schlimm, denn ich hatte mich überwunden zu sagen, was ich sah, fürchtete und was mich bedrohte – und die Frage, ob das Ganze nur ein Scherz sei schmerzte mich ziemlich. Aber ich schluckte meine Wut hinunter und beteuerte, dass ich nicht log. Aber mit der Zeit festigte sich das Verständnis der Ärzte gegenüber meiner Eindrücke und die Tests wurden weniger, ich wurde nicht mehr gefragt ob ich log. Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass ich nicht nur den Ärzten vertrauen musste. Die Ärzte mussten auch mir vertrauen. Einen Test bezüglich eines Blutwertes kann ich nicht fälschen. Ich kann auch keine Ergebnisse aus dem MRT oder dem EEG manipulieren, zumindest nicht gravierend. Jedoch ist es möglich, den Ärzten etwas vorzumachen, wenn sich die gesamte Krankheit im Kopf abspielt.
Die Behandlung
„Sie haben sich selbstverletzt? Das ist doch ganz normal. Solange Sie sich nicht die Pulsadern aufschneiden, sehe ich keinen Grund, Sie aufzunehmen.“
Ich war in einer Krisensituation und mir wurde eine Aufnahme zur Krisenintervention verwehrt. Es tat sehr weh, in seinem körperlichen und psychischen Schmerz alleine gelassen zu werden. Auch wenn dieser Vorfall einige Wochen zurückliegt, kann ich mich nicht davon distanzieren. Ich habe Angst, dass es wieder einmal soweit kommt, dass ich die Krisenintervention in Betracht ziehe, und dann nicht aufgenommen werde.
Eine ganz andere Art der Behandlung liegt in der medikamentösen. Derzeit nehme ich vier unterschiedliche Medikamente, davon ein Bedarfsmedikament. Sie wirken antidepressiv, antipsychotisch, sedierend und – haben heftige Nebenwirkungen. Für den Arzt ist es einfach, ständig Medikamente an- und abzusetzen. In Klinikzeiten wurde teilweise jede Woche die Dosis erhöht, dann plötzlich wieder abgesetzt und ein neues Medikament angesetzt. Ich wurde unter das starke Tavor gesetzt, sodass ich zu den Besuchszeiten mitten im Gespräch eingeschlafen bin. Von „Leben“ konnte nicht mehr die Rede sein. Ich kann mich zugegebenermaßen kaum an diese Zeit erinnern, weil mein Kopf so zugedröhnt war. Aber in meinem Klinik-Tagebuch und anhand Erzählungen kann ich diese Zeit rekonstruieren. Was sagten damals die Ärzte dazu? Man nannte es „Stabilisierungsphase“. Aber ich finde, es ist keine Möglichkeit den Patienten so stark zu sedieren, ihn willenlos zu machen, nur, damit er sich partout nicht wehren kann, dass er sich nichts antun kann. Für einige Zeit mag so etwas schon gehen, um den Patienten vor sich selbst zu schützen. Aber keine fünf Wochen lang!
Der Patient
Ich habe mich oft gefragt, wer oder was man als Patient ist. Ist man der Mensch, der vor dem Arzt auf dem Stuhl sitzt, seine Probleme beichtet und ins Gespräch kommt? Oder ist man die Akte, die viele Seiten stark ist und nur mühsam von einem Gummiband gehalten wird? Ist man die Diagnose nach dem ICD-10? Oder ist man ganz einfach ein Mensch, der Hilfe von einem anderen Menschen braucht?
Ich habe innerhalb der Zeit in der Klinik viele unterschiedliche Patienten kennengelernt. Die einen, die keinerlei Krankheitseinsicht hatten, die Ärzte beleidigt haben und die sich auch gegenüber der Mitpatienten unmöglich aufgeführt haben. Spontan fällt mir Frau M. ein, die mich auf dem Gang lauthals beleidigt hat, mich mit Flaschen beworfen und getreten hat. Sie war auf Drogen, sodass man ihr Verhalten entschuldigen konnte. Als sie einige Tage clean war, benahm sie sich besser und ließ mich in Ruhe. Die Ärzte jedoch nicht. Auch Frau F., die mit mir einige Zeit im Zimmer auf der geschlossenen Station war, beschwerte sich bei jeder Stationsversammlung über die Ärzte, behauptete das der Oberarzt sie nachts missbrauchte und verweigerte ihre Tabletten. Sie war psychotisch, aber ihr Verhalten gegenüber der Ärzte besserte sich auch nicht, als sie wieder in der Realität war. Natürlich gab es auch andere Fälle. Die Patienten, die auf die Ärzte hörten und sich nicht den Medikamenten und den Untersuchungen widersetzten. Ich sehe mich in dieser Gruppe der Patienten, auch wenn mir Unrecht getan wurde. Dennoch machte ich alles, was die Ärzte mir sagten. Selbst die unangenehmsten Untersuchungen wie die Lumbalpunktion und das vierte EEG meines Lebens.
Was sagt das nun alles über den Arztberuf aus?
Grundlegend kann ich den Ärzten nur dankbar sein. Ich habe nicht nur viel „fürs Leben“ gelernt, habe mich zurück ins Leben gekämpft, wurde unterstützt durch Gespräche und Medikamente, kurzum: mir wurde ein Stück Lebensqualität zurückgegeben. Das ich noch immer daran zu kämpfen habe, dass ich noch immer kämpfen muss und das es nicht innerhalb von wenigen Monaten wieder alles gut wird, ist mir klar. Ich habe auch Ärzte getroffen, den herzlich wenig an mir als Mensch lag und die mich nur als Fall behandelt haben. Aber es gab und gibt noch Ausnahmen. Zum Beispiel die Ärztin Dr. R., die ein langes Gespräch nach ihrer Schicht mit meiner Mutter geführt hat. Oder Dr. S., Chefarzt der Klinik, der bei den Visiten immer sagte, dass ich weitermachen, weiterleben muss. Das ich mir selbst beweisen soll, dass ich es schaffen kann, wieder zurück zu finden.

Nebelzeit, vierter Teil

Dies ist der vierte und letzte Teil, der meine Vergangenheit vor der Psychose thematisiert.
Ich wechselte zu Beginn des Jahres 2012 von dem Psychologen Herr S. zu der Kinder- und Jugendtherapeutin Frau M. Sie sollte mich bis Sommer 2014 begleiten, durch die zehnte Klasse, durch die Oberstufe zum Abitur, meiner Bewerbung zum Studium und zum Umzug. Auch in meiner Krise im Herbst 2014 nahm sie sich meiner an, vereinbarte am Wochenende mit mir Termine und half, so gut es ging. Dennoch muss erwähnt werden, dass sie „nur“ eine Sozialpädagogin war und keine Psychologin, weswegen sie mir zwei Fehldiagnosen zu schrieb. Vor allem ihre Arbeit an meinen dissoziativen und durch Traumata ausgelösten Störungen bleiben mir in guter Erinnerung, denn sie half mir, zwischen dem Hier und Jetzt und der Vergangenheit zu unterscheiden.
Das Mobbing, die alte Schule und die Vergangenheit in der Klinik verfolgte mich nicht mehr, nur manchmal träumte ich von den Erfahrungen, die ich schmerzlich machen musste. Meine Suizidgedanken nahmen ab, ich hatte Freunde, unternahm am Wochenende manchmal etwas mit ihnen, ging in die Stadt und fing wieder an, zu leben. Dennoch verletzte ich mich in schwierigen Situationen manchmal noch selbst. Ein destruktives Verhalten, welches ich bis heute nicht ganz ablegen konnte.
Im April 2012 war ich das zweite Mal in der Klinik des Heinrich-Braun-Krankenhauses. Nach einer Wunde vom selbstverletzenden Verhalten musste ich in die Notaufnahme zum Chirurgen, um die Wunde nähen zu lassen. Ich hatte bis auf das Fettgewebe meines Armes geschnitten und konnte mir nicht mehr selbst helfen. Einige Nächte verbrachte ich in der Kinderabteilung, um stabiler zu werden. Danach konnte ich, noch immer ziemlich aufgewühlt, die Klinik vorerst verlassen.
Irgendwie, trotz aller Probleme und dem plötzlichen Absetzen meines Antidepressivums, schaffte ich die Schule. Nun begannen die psychotischen Symptome einzusetzen, wie in Der Beginn und Von Prüfungen und Stimmgewirr beschrieben.

Entlassung

Heute, nach vier Monaten, war es soweit. Ich verließ die Klinik, endgültig.
C. schenkte mir eine Karte und einen Schoko-Marienkäfer. Die „Muttis“ verabschiedeten mich mit Küsschen und Umarmungen. Von den andren habe ich mich mit Handschlag verabschiedet.
Das abschließende Gespräch mit dem Psychologen war kurz, aber gut. Wir haben ein Resümee über die Behandlung in der Tagesklinik gezogen und die Therapieziele hinsichtlich ihrer Erfüllung betrachtet. Natürlich habe ich nicht allzu viel erreicht in der kurzen Zeit, bin aber sicherlich stabiler geworden.
Ich hatte zuvor ziemlich Angst vor dem Entlassungsbrief der Ärzte. Aber am Ende war dieser nicht so schlimm wie erwartet. Somatisch ist alles in Ordnung und unauffällig. Diagnosen sind ziemlich durchwachsen – von rezidierender depressiver Störung, gegenwärtig schwere Episode und polymorphe psychotische Störung mit Symptomen der Schizophrenie, bzw. Differentialdiagnose Vorlaufphase Schizophrenie. Das habe ich natürlich vorausgesehen…ich wusste in etwa was mich diesbezüglich erwartet. Von den Symptomen her war man sich auch einig. Anhedonie, Affektstarre, Konzentrationsprobleme, kaum emotional schwingungsfähig, ….
Am Montag habe ich meinen ersten Termin in der PIA. Dort werde ich dann sicher erklärt bekommen wie lange ich therapiert werde, welche Gruppen ich besuchen kann und wie oft ich Gespräche haben werde. Man muss sehen, wie es sich entwickelt. Ich bleibe gespannt.

Nebelzeit, dritter Teil

Es vergingen Monate, bis ich den ersten Termin der Familienberatungsstelle hatte. Die Sozialarbeiterin, die damals mit mir redete, nutzte viele verschiedene Mittel um meinen Unmut erklärt zu bekommen. Ich sollte Tiere aufstellen und daran erklären, wie ich meine Position innerhalb der Familie sehe. Sollte offen reden über das Mobbing, die Selbstverletzung und die Suizidgedanken. Schon bald wurde der Sozialarbeiterin, Fr. H., klar, dass ich suizidal war und das mir die Termine im Abstand von zwei Wochen nicht reichten. Sie empfahl meinen Eltern, mich in die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Heinrich-Braun-Klinikums zu überweisen. Dazu brauchte ich eine Einweisung meines Hausarztes. Einige Tage später saß ich auf der Liege der Ärztin, rutschte nervös hin und her. Sie sah sich meine Arme an. Redete mit mir über meine Suizidgedanken. Damals wollte ich mich mit der weichen Methode, einer Tablettenüberdosis, vorzugsweise mit freiverkäuflichen Medikamenten, umbringen.
In der Zwickauer Klinik kam ich in das Akutzimmer, ein Zimmer mit Kameraüberwachung. Es war eine offene Station. Zuerst kam ich überhaupt nicht damit zurecht, in einem psychiatrischen Krankenhaus zu sein. Aber die Isolation von meiner Schule, in der ich weiterhin gemobbt wurde, tat gut. Aber ich war immer noch schwer depressiv. Damals, 2010, mit 14 Jahren, nahm ich mein erstes Antidepressivum, das gut anschlug. Ich begann wieder zu leben. Ich fand in der Klinik Freunde. Vor allen ist Sarah, meine erste Zimmernachbarin und Mitpatientin, zu nennen. Bis heute sind wir befreundet.
Langsam lernte ich wieder, das Leben als solches zu akzeptieren. Mit meinem Schicksal abzuschließen. Im November wechselte ich die Schule, nach Zwickau in das künstlerisch-musisch orientierte Clara-Wieck-Gymnasium. Damit begann für mich eine neue Epoche meines Lebens. Ab dem ersten Tag in der Klasse wurde ich angenommen, so wie ich bin. Kleinere Streitigkeiten und Probleme gab es auch hier, aber kein Mobbing. Ich fühlte mich wohl. Meine Depressionen verschwanden zwar nie ganz, denn ich war gezeichnet von den Erfahrungen in der Glauchauer Schule. Im Februar 2011 wurde ich entlassen.
Auszug einer weiteren E-Mail an Fr.Z., meine ehemalige Klassenlehrerin.

Ich selbst kann es mir nicht erklären, wie so etwas geht. Mit vierzehn Jahren eine solche Trauer, einen solchen Hass auf das Leben. Um ehrlich zu sein: Ich könnte es wieder tun. Ich bin am verzweifeln. Am 10. Februar, letzter Schultag, wurde ich entlassen. Ich kann es kaum glauben. Es tat weh. Einfach nur weh. Die letzte Schulwoche habe ich zu Hause verbracht. Ich war nur zwei oder drei Tage in der Schule. Ich war so schwach. Wow. Klingt scheisse wenn ich das so knall hart schreibe. Aber ich kann nicht mehr. Ich muss mich ablenken. Ich kann einfach nicht mehr.
Es ist einfach nur scheisse. Alles. Einfach alles. Ich will und kann nicht mehr. Die scheiss Klingen haben mir die Therapeuten in der Klinik weggenommen. Könnte sie derzeit gut gebrauchen.
Ablenken kann ich mich nicht.
So ein scheiss Leben.
Ich war siebte Klasse, als sie mir Ihre E-Mailadresse gaben, so unbeschwert und kindlich. Naiv. Lebte in meiner rosa Luftballon-Welt. Ein Jahr später : Depression. Suizid. Antidepressivum.
Schulwechsel, Kulissenwechsel. Besserung? No way. Immer noch die selben Probleme. Die Leute dort müssen mir helfen. Ich will weg. Einfach nur weg.
Bevor wieder etwas geschieht. Und dann ist es zu spät.
Ich stehe zwischen Bäumen.
Leben ändert sich.
Nach der Psychiatrie.
Keine Hilfe mehr.
Mehr – kann nicht mehr.
Ein stetiges fliehen.
Aber ich traue mich nicht, diesen Schritt zu tun.
Was soll ich nur machen? Der Tod löst diese Frage auch nicht. Zu viel liegt mir … mir liegt an nichts etwas.
Es ist so sinnlos.
Sinn. Los.

23.02.2011
Diese E-Mail zeigt, wie hospitalisiert ich nach dem Klinikaufenthalt war. Ich wollte um jeden Preis zurück in die Klinik, war immer noch sehr pessimistisch und schlecht drauf. Ich isolierte mich weiterhin und auch die Selbstverletzung wurde nicht besser. Ich hatte weiterhin wöchentliche Gespräche mit dem Psychologen Herr S. aus der Klinik. Dies ging ungefähr ein Jahr weiter, bis ich einen Therapeutenwechsel machen sollte. Denn die Beziehung zu dem Psychologen war aus privaten Gründen ziemlich strapaziert.

Nebelzeit, zweiter Teil

Ich dachte, Ignoranz sei schlimm. Das ich meine Freunde verlor, alleine in der Schule und in der Ausbildung zurecht kommen musste, zehrte an meinen Kräften. Ich begann, mich zurück zu ziehen. Nach der Schule hing ich stundenlang allein in meinem Zimmer, am PC. Das ist für eine Auszubildende als Informatik-Assistent sicher nichts außergewöhnliches. Noch heute verbringe ich überdurchschnittlich viel Zeit vor dem Laptop. Doch damals war es anders. Es lag nicht nur daran, dass ich mich in eine kindliche Traumwelt zurück zog, viele traurige Gedichte und Geschichten schrieb, viel über Gott und die Welt nachdachte. Heute sehe ich dies als Anfang meiner ersten Depression. Wenn die Gedanken kreisen, alles und nichts Bedeutung hat, man in Hoffnungslosigkeit und Angst versinkt. Ich isolierte mich. In der Schule, zu Hause, von Freunden, Familie, von allem. Meine Hobbys machten keinen Spaß mehr. Wenn ich Klavier spielte, dann ohne die Passion, die ich zuvor verspürt hatte. Wenn ich zeichnete, dann sehr dunkle, traurige Bilder, in denen sich junge Mädchen verschiedenes antun. Ich schrieb ziemlich deprimierende Gedichte. Ich erinnere mich an einen Text, den wir im Ethik-Unterricht lesen sollten. Dabei ging es auch um ein Mädchen, welches ziemlich schlecht drauf war, aus dem Fenster in den Regen schaute und sich nach dem Sinn des Lebens fragte. Ich konnte mich damals so mit diesem Text identifizieren, dass ich ihn bis heute nicht vergesse. In Musik sangen wir damals „Mad World“ von Gary Jules. Auch das wurde für mich als Zeichen meiner Depression.

Went to school and I was very nervous
No one knew me, no one knew me
Hello teacher tell me, what’s my lesson?
Look right through me, look right through me
And I find it kind of funny
I find it kind of sad
The dreams in which I’m dying are the best I’ve ever had
I find it hard to tell you,
I find it hard to take
When people run in circles it’s a very, very
Mad world, mad world, enlarging your world, mad world

Einige Wochen vergangen, in denen ich mich in ein Schneckenhaus zurückzog. Aus diesem sollte ich mehrere Monate, Jahre nicht hervor kommen.
Dann begann das Mobbing. Mit meiner Sonderstellung, die ich zuvor eingenommen hatte, konnte ich mittlerweile ganz gut leben. Ich akzeptierte mein Schicksal, nahm es hin ohne zu hinterfragen, was es für mich bedeuten könnte. Zuerst wurde ich in Gruppenarbeiten gemieden. Aber das war ja nichts Neues mehr für mich. Irgendwann wurden die Pausen nicht mehr nur einsam. Ich saß mittlerweile immer allein in der Ecke. Doch das änderte sich. An die Tafel wurde immer öfter „MIIIEP“ geschrieben. Das war ein Zeichen für mich. Es bedeutete „Gegen Anna“ in der Sprache meiner Mobber. Außerdem sang man Lieder über mich. Zum Beispiel das Lied von Polarkreis 18 „Allein, allein“. Denn das war ich. Allein. Einsam. Dann fand man es lustig, mich mit kleinen Kugeln aus Alufolie zu bewerfen. „Hey, Miiiep!“ – zack, warf man mir die kleinen Kügelchen ins Gesicht, in denen zuvor die Butterbrote meiner Mitschüler verpackt waren. Auf dem Schulhof gab es Bereiche mit Kies. Auch den warf man mir entgegen, kippte man mir in die Anziehsachen oder in meine Schultasche. Vor dem Unterricht wurden meine Hefter oder Schulbücher versteckt. In den Pausen begann ich, mich zu verstecken. Vorzugsweise auf Toilette. Eingesperrt verbrachte ich diese quälenden Zeiten. Meine Lehrer bekamen nichts mit – und wenn sie etwas mitbekamen, dann schwiegen sie darüber.
Irgendwann Anfang 2010 dehnte sich das Mobbing aus. Über die sozialen Netzwerke Schüler-vz oder Schüler-cc bekam ich immer öfter Mails geschrieben, die mich beleidigten.
Auch fing man an, mich mit anderen Gegenständen wie Schulbüchern zu bewerfen und zu schlagen. Hinzu kamen noch die Hinweise, dass ich mich umbringen soll. In Form von Tabletten, die man auf meinem Sitzplatz hinter ließ oder indem man in höheren Etagen hinter mir stand und „Spring! Spring! Spring!“ rief, setzten mich meine Peiniger unter Druck. Wieder bekamen die Lehrer nichts mit und ich hatte zu viel Angst, um selbst etwas zu sagen. Auch meinen Eltern sagte ich nichts. Ich ließ alles über mich ergehen, ob der Hoffnung das das Ganze irgendwann ein Ende nähme.
Eine der Hass-Mails:

DU hast Freunde? Meine Antwort: streber, behinderte und idioten. kann sein.
ICH darf hier meine Meinung nicht äußern? Anna, fick dich. Das ist ein freies Land da kann ich sagen was ich will und wenn ich dich sonstewie damit verletze du kleiner möchtegern Emo.
Was du auch nich mitbekommst is, das das hier ernst ist.Aber sieh es ruhig lustig, da hast du wenigstens vor dem Beginn des 2. Halbjahres noch was zu lachen. Denn danach wirst du nichtmehr lachen.
Und deinen hässlichen Brillenkinder-Freundinnen, mit denen du Nachmittags die „Wendy“ liest, und „Janine auf dem Pferdehof“ auf dem Gameboy spielst, kannst du ausrichten das die uns alle mal kräftig am arsch lecken können.

18.02.2010
Daraufhin begann ich, mich selbst zu verletzen. Zu erst waren es kleine, rote Striemen am Unterarm. Später steigerten sich die Wunden, bis meine Arme, der Bauch und die Beine voller Narben waren.
In einer E-Mail an meine ehemalige Klassenlehrerin Fr. Z. schrieb ich damals:

Ich muss mich echt überwinden, diese Mail zu schreiben! Denn sie haben nun live miterlebt, wie ein fröhliches Kind zu einer depressiven Jugendlichen wird. Ob Ihnen das bis jetzt klar geworden ist, das ich Depressionen habe, ist zu bezweifeln, aber Sie kennen die Gründe, und ich habe sie ja meistens etwas länger geschildert.
Depressionen sind in der Jugend ja keine allzu seltenen Sachen mehr! Ich kenne einige, die darunter leiden. Und ich bin selber leider depressiv geworden, und gehe auch bald in Therapie. Dazu kommt mein ungeheurer Masochismus. Der hat sich allerdings noch verschlimmert, bin leider auch unter die ritzsüchtigen gegangen, deswegen Therapie – und Familienberatung.

19.05.2010

I – Woche 17 – Tagesklinik

Nun ist es soweit. In einer Woche werde ich entlassen. Nachdem ich das Wochenende seit längerer Zeit mal wieder zu Hause, in der Heimat, war, werde ich meine letzten Tage in der Tagesklinik beginnen.
Manche Therapien werde ich definitiv vermissen, auf andere kann ich hingegen durch aus verzichten. Dabei muß ich unter anderem an die Körperübungen der Tanz- und Musiktherapie denken. Das ist einfach nichts für mich. Ich fühle mich bei solchen Dingen einfach unwohl.
Die Gespräche bei dem  Psychologen der Tagesklinik waren auch sehr hilfreich. Besser, als die Psychologen der anderen Stationen. Ich bin ihm dafür sehr dankbar, da mich die wenigen Stunden, die ich bei ihm hatte, sehr viel weiter gebracht haben.
Dafür war die Visite heute recht sinnlos. Ich habe meine derzeitigen Probleme  dargelegt, jedoch bekam ich nur Standard-Antworten und den Hinweis, einfach weiter an den Therapien Teil zu nehmen.
Heute war Entspannung in Form von Progressiver Muskelrelaxation nach Jacobsen. Leider hatte ich im Kopf keine Ruhe und wurde ständig beim Namen gerufen. Manchmal sind die Stimmen recht einfallslos. Genau so war es im Kino. Ich hatte einfach keine Ruhe. Mittlerweile geben sie mir Gedanken als eine Art „Kommentare“ oder Hinweise. So durfte ich mir anhören, dass ich mich nicht so haben soll. Oder auch, dass ich mir doch einfach die Pulsadern aufschneiden soll. Na Danke.
Ich kam heute zu spät in die Tagesklinik, weil ich zum zweiten Mal verschlafen habe. Hoffentlich steht das nicht im Arztbrief wie bei meinem ehemaligen Mitpatienten D. Bei ihm wurde seine „mangelnde Bereitschaft an den Therapien“ daran gemessen, obwohl er einfach Depressionen hatte und es ihm schwer fiel aus dem Bett zu kommen. Manchmal sind die Ärzte schon sehr frech, wenn es um die Arztbriefe geht. Man kann nur hoffen, dass meiner „netter“ wird.

Nebelzeit

Ich habe bereits einen Blogbeitrag mit dem Titel „Der Beginn“ geschrieben. Darin schilderte ich den Anfang meiner schizophrenen Psychose. Aber eigentlich begannen meine psychischen Probleme schon viel zeitiger. Dabei kann ich nicht abschätzen, wann „normales“ Verhalten aufgehört hat und „krankes“ Verhalten begonnen hat. Ich kann nur noch rückblickend sagen, wie es in meiner Erinnerung ist.
Damals, vor 6 Jahren, war ich ein ziemliches normales, wenn auch störrisches Mädchen, dass sich gerade im Übergang zur Pubertät begann. Die ersten Pickel, der erste Liebeskummer, die Umwandlung des eigenen Körpers – alles Baustellen, die seit jeher für junge Mädchen schwierig sind, für Heulkrämpfe und Nervenzusammenbrüche sorgen, die Freundinnen strapazieren und die Beziehung zu den Eltern auf eine harte Probe stellen. Ich kam gerade in die achte Klasse. Dies war etwas ganz besonderes, denn ich nahm an einem „Experiment“ des Freistaates Sachsen teil, das Schülern ermöglichen sollte, während der Schulzeit eine Ausbildung zum Assistent für Informatik zu machen. Die neue Klasse, in die ich kam, war eine bunte Mischung aus den anderen 4 Klassen. Nur wenige kannten sich, der Rest war sich unbekannt. Auch ich kam ohne bestehende Freundschaften in diese neue Klasse. Die ersten Wochen liefen richtig gut. Ich fand neue Freunde, machte viele Späße, alberte in den Pausen rum und strapazierte die Lehrer. Leider ging es zu dieser Zeit meiner Großmutter, zu der ich eine ganz besondere Beziehung hatte, körperlich sehr schlecht. Aber ich konnte diese negativen Schwingungen gut abfangen, denn es lief dafür in der Schule super. Auch hatte ich richtig Spaß am Klavier spielen, was mir zuvor eher Schwierigkeiten bereitet hatte. Ich zeichnete mehr und wurde immer besser. Kurzum – der schwierige Start in die Pubertät gelang mir mit einem guten Gefühl.
Eines Tages, im Oktober, war ich auf der Geburtstagsfeier einer Freundin aus meiner neuen Klasse. Es war so eine typische Jugendlichen-Feier, mit Flaschendrehen, dem ersten Bier (welches eklig schmeckte) und allerlei anderem Quatsch. Außerdem war F. dabei – mein damaliger Schwarm, viel größer als die anderen Jungs, sarkastisch und ein typischer Cliquenleiter. Irgendwie kam an diesem Abend heraus, das ich für F. schwärmte. Und ich wusste nicht, welche Konsequenzen das nach sich ziehen sollte. Die Freundin, die Geburtstag hatte, wurde an diesem Abend eher ignoriert, als das man sie feierte. Es zeigte sich, dass die Anderen eher nur zum Spaß zu ihr gekommen waren, sie ausnutzten. Das erzählte ich ihr einige Tage später. Leider verstand sie nicht, dass ich sie nur warnen wollte, gar schützen. Denn sie fasste es als Beleidigung auf.
Dann starb meine Großmutter. In dieser ziemlich komplizierten Zeit des Erwachsenwerdens, der Selbstfindung und Verwirrung brach eine Stütze weg, auf die ich zuvor gebaut hatte. Und auf diesen Schock hin wurde ich krank. Zog mich zurück, bekam eine schwere Grippe. Zwei, vielleicht auch drei Wochen ging ich nicht zur Schule.
Als ich danach wieder kam, war alles anders.
Meine „Freunde“, die ich einige Wochen zuvor noch hatte, ignorierten mich. Wandten sich von mir ab. Redeten nicht mehr mit mir. Ich verstand die Welt nicht mehr. Eigentlich hätte ich jemanden zum reden gebraucht, denn es war schon schwer genug, mit dem Tod einer so nahestehenden Person klar zu kommen. Doch diese Abneigung, die scheinbar aus dem Nichts kam, war unerklärlich für mich. Das dies alles mit dieser seltsamen Geburtstagsfeier zusammen hing und inwieweit meine Schwärmerei, die Sorge um die Freundin und alles andere dafür gesorgt hatte, wusste ich nicht. Bis heute kann ich nur annähernd sagen, was genau geschehen war. Schließlich konnte ich danach mit niemanden mehr reden. Deswegen ist dies ein Punkt, der sehr von Nebel umschleiert ist. Der unfassbar, unbegreiflich ist. Es tut aber nichts zur Sache. Von einem aufs andere Mal, innerhalb von wenigen Wochen war ich von einem taffen, gut integrierten Mädchen zur Aussenseiterin der gesamten Jahrgangsstufe geworden. Ich dachte, dass sei das Schlimmste, was mir passieren konnte. Hätte ich in die Zukunft sehen können, wäre mir bewusst geworden, dass es noch schlimmeres als Ignoranz gab.