Tabu mit Irren

Man nehme eine handvoll ausgewählter Irrer, einen Raum, ein Tabu-Spiel und einige Zeit.
Es war das zweite Treffen, an dem ich teilgenommen habe. Die Selbsthilfegruppe für junge psychisch Kranke. Eigentlich hatte ich keinerlei Lust. Mal wieder verbrachte ich den Tag alleine zu Hause, ohne sämtliche Motivation.
Irgendwie, es gleicht einem Wunder, schaffte ich es dennoch mich halb sechs auf den Weg zu machen und nach DD-Prohlis zu fahren. Das ist so ziemlich das andere Ende der Stadt und die Gegend war mir fremd.
Angekommen stellten sich mir drei neue Gesichter vor, die letztes Mal noch nicht dabei gewesen waren. Unter anderem M., den ich aus dem Krankenhaus in Friedrichstadt kannte. Wir hatten uns da ein paar Mal gesehen, aber nicht miteinander geredet. Das holten wir nun nach.
In einer Gruppe von sieben Irren und zwei Angestellten der AWO, die die Gruppe leiten, spielten wir Tabu. Es war eine relativ ruhige Truppe, aber ab und an kam es vor, dass wir gemeinsam lachten und uns gegenseitig öffneten. Einigen fiel das Tabu spielen schwer, anderen nicht. Manche konnten sich kaum konzentrieren, andere dafür umso besser. Jeder hatte seine Probleme und sein momentanes Befinden im „Blitzlicht“ kurz vorgestellt. Die meisten klagten über einen eher schlechten Zustand. Dennoch war es eine schöne Runde.
Mit A. fuhr ich dann, wie beim letzten Mal, nach Hause. Mit ihm verstehe ich mich am besten. Wir konnten auch über „normale“ Themen echt gut reden. Ich denke, das wird ganz gut. Generell sind die Treffen recht hilfreich für mich. Ich bereue es nicht. Am 6.7. ist wahrscheinlich der nächste Termin. Dann endlich Bogen schießen, was heute ja wieder ins Wasser fiel.

Das ist noch nicht das Ende

Unglaublich – das ist mein hundertster Eintrag. Ich hätte nie gedacht, soweit zu kommen.
An 364 Tagen im Jahr vermeide ich Körperkontakt zu anderen Menschen. Ich setze mich nicht freiwillig in Bus und Bahn neben Fremde, ich meide Augenkontakt, ich hasse es, angesprochen zu werden. Vermeidung, Ablehnung, Intoleranz. Ich weiß, dass ich daran arbeiten müsste. Das habe ich in der Therapie bei Frau M. schon so oft getan und in den Therapien zuvor. Es ist besser geworden, aber nicht verschwunden.
Jedenfalls ist dieses Wochenende das Straßenfest „Bunte Republik Neustadt“ im Dresdner Szeneviertel. Musik, Essen, Alkohol, ein Haufen verrückter Leute.
Da standen wir, in einer Menge von Leuten, umgeben von kiffenden, trinkenden, tanzenden Menschen. Die ersten Akkorde erklangen und die Menge bewegte sich erst langsam, dann immer schneller im Takt. Wie ein Crescendo ging die Bewegung erst langsam und leise los, um dann im Refrain in Pogo, slammen und moshen zu enden. Die ersten Stagediver bahnten sich ihren Weg über die Menge, wurden getragen, fallen gelassen, rappelten sich wieder auf um erneut auf die Bühne zu kommen. Und unter all diesen ich, mehrmals übergossen mit Bier aus Plastikbechern, mit dreckigen Schuhen vom Pogo, nass vom Regen.
Ich bin nicht oft auf Konzerten, obwohl ich Musik liebe. Obwohl ich es mag, den Bass zu spüren, die Klänge in mir aufzunehmen. Aber dieses eine Mal, wenn ich auf einem Konzert bin und mich innerlich wie äußerlich fallen lasse, kann ich für wenige Momente vergessen. Mich entfernen von den Gedanken, Problemen, Sorgen. Und einfach sein.

Akzeptanz

Die Woche war bisher recht ereignislos. Am Montag hatte ich wieder ein Einzelgespräch bei Locke. Wir haben über die Nachtängste geredet, Ursachen ergründet und Lösungen betrachtet. Wahrscheinlich wäre das Beste, an der Realitätsprüfung dran zu bleiben, denn es fällt mir immer noch oder wieder schwer, Geräusche und Gedanken als „real“ einzuschätzen. Ich denke die meisten können das auch verstehen, ohne psychotisch zu sein. Wenn ich etwas höre, ganz eindeutig, dann ist es da. Es ist definitiv da. Da gibt es keine Diskussion. Und wenn ich das erzähle, schaut mich Locke an, fragt mich noch einmal ob ich mir sicher bin und ob es nicht – zufällig – sein könnte, dass ich die Einzige bin, die es hört. Es tut weh, das gefragt zu werden. Es ist jedes Mal ein Stich in die Brust. Die sichere Erkenntnis, verrückt zu sein. Ich verstehe bis heute nicht wie das sein kann, was mit mir passiert. Vermutlich muss ich das Ganze vorerst akzeptieren.
Um Akzeptanz ging es auch am Mittwoch, als ich ein Vorgespräch für eine Borderline-DBT-Skillgruppe hatte. Die Psychologin war mir fremd, aber sie war charakterlich ähnlich wie Locke. Sie ist die zweite Psychologin in der PIA und ebenfalls noch eher jung. Ich kannte sie bisher nur vom sehen und von den Berichten anderer PIA-Patienten, die ich stationär kennengelernt habe. Sie erklärte mir den Sinn der Gruppe, wie weit sie sind, welche Themen behandelt werden etc. Vermutlich werde ich in die Montagsgruppe gehen, die 15 Uhr stattfindet.
Nachmittags war ich dann wieder in der Ergotherapie und habe mein Sitzkissen fertig gestellt. Jetzt muss es nur noch vernäht und gestopft werden.
Heute war ich mit Laura auf einem Reiterhof in Dresden-Weißig, wo wir einen Termin für Reitunterricht für nächste Woche ausmachen konnten. Ich bin ziemlich nervös, ich saß bestimmt vier Jahre nicht mehr im Sattel. Aber mal sehen, deswegen nehme ich ja Unterricht.

Wochenendausklang

Just in diesem Moment sitze ich im Regionalexpress Richtung Dresden Hauptbahnhof. Mir gegenüber ein grau-schwarzer Wanderrucksack und ein schlafender André.
Seit Mittwoch Abend war ich jetzt wieder in der Heimat. Länger als sonst. Zum einen, weil ich einen Arzttermin hatte, zum anderen weil ich einen Kulissenwechsel nötig hatte. Die Tage alleine zu Hause sind so einfältig und monoton. Die Zeit verrinnt so langsam.
Die Tage waren auch nicht aufregendv oder actionreich. Aber sie boten mir eine geschützte Umgebung. Ich hatte mehr Sicherheit, war nicht so sehr auf mich alleine gestellt.
Samstags waren meine Eltern, Laura, André und ich in Grimma bei Leipzig zum Stern Combo Meißen Konzert zum Musikzyklus „Bilder einer Ausstellung“. Auch wenn das Wetter teilweise nicht so schön war, war das Konzert erstklassig. Zufällig traf ich sogar eine Lehrerin vom Zwickauer Gymnasium.
Heute verschlug es mich dann nach Ortmannsdorf im Mülsengrund, wo der Tag des Pferdes in einem Stall war, wo ich früher manchmal geritten bin.
Morgen ist wieder ein PIA Termin angesagt. Time will tell…

Ein Dank

Heute habe ich die 50.000 Aufrufe geknackt. Und das innerhalb eines halben Jahres. Ich danke euch.
Danke an alle, die lesen, kommentieren, Beistand leisten. An alle, die da sind, obwohl sie weit weg sind. Danke an euch alle.

Hunde und Webkissen

Gestern war ein Schlechte-Laune-Tag wie er im Buche steht. Wolkenbehangener, grauer Himmel, kühler Wind, dämmrige Stimmung. Das da die Laune auf einem niedrigen Niveau steht, ist nicht verwunderlich.
Und da ich ohnehin derzeit ein wenig in einem Tief fest hänge, waren diese Bedingungen nicht gerade förderlich. Dennoch konnte ich mich irgendwie aufraffen, mich zur Ergotherapie der PIA zu bemühen. Förderlich war, das ich mittwochs gegangen bin – zu meiner Lieblingstherapeutin von der Station 84. Diese Ergo kenne ich am längsten und sie war meiner Meinung nach auch immer die beste Therapeutin von allen. Sie war immer freundlich und hilfsbereit, hat mit den Klienten gearbeitet und sie nicht ignoriert, sie hat mit uns erzählt und uns aufgeheitert.
Sie war der Grund, weswegen ich dann gestern zur Ergo gegangen bin. Und es hat sich gelohnt. Sie begrüßte mich mit einem Lächeln und sagte, dass sie sich freut mich wieder zu sehen.
Nachdem die Therapie los ging, kam sie zu mir und fragte wie es so läuft, was ich so mache…wir haben ein wenig geredet. Da ich mich an Details gerne erinnere, fragte ich sie nach ihrem Labrador-Goldie Mix und wie es ihm geht. Es kam zu einem Gespräch über Hunde, Katzen, Ratten, sie zeigte mir Bilder von ihrem Hund und wir hatten echt Spaß.
Nebenbei habe ich an meinem gewebten Sitzkissen weiter gearbeitet. Es ist konträr zu dem Kissen, das ich schon fertig gestellt habe – blaugraue Töne, im Gegensatz zu dem roten Kissen, welches ich schon habe.
Abends bin ich dann (ganz allein, seid stolz auf mich) nach Hause gefahren, weil ich heute einen Arzttermin in Zwickau hatte. In der Praxis habe ich dann als Helferin eine ehemalige Schulkameradin vom Clara-Wieck-Gymnasium getroffen. Die Welt ist eben klein…

Endlich Offenheit

Heute ein kurzes Fazit zur Therapiestunde des Tages. Ich bin wieder mit einem unguten Gefühl in die PIA gekommen. Die Aufregung vor einem Termin ist mir so bekannt wie das tägliche Zähneputzen. Nachdem wir kurz die Diary Cards verglichen haben – es gab etwas zu feiern! die erste DC, die keinerlei Selbstschädigung aufzeigte – meinte Locke zu mir, dass ich frei reden soll. Schließlich gab es keine Verhaltensanalyse zu bearbeiten oder aufzustellen und die Themen von letzter Woche waren auch gegessen.
Demnach begann ich, darüber zu reden. Über den fehlenden Antrieb. Die Angst. Die Depression. Die Gedanken.
Wir erarbeiteten ein Modell, was man gegen diese Tiefphasen machen kann. Dann sammelten wir Ideen, welche positiven Aufgaben ich in meinen Tagesablauf einbauen kann um ihn besser zu strukturieren.
Ich habe es also geschafft mich endlich etwas zu öffnen. Und im Nachhinein denke ich: War es wirklich so schwer?

Wenn ich die Sorgen vergesse

Die Tage zu Hause waren geprägt von Hitzezustandsvermeidung und Lachen. Endlich mal wieder. Gemeinsam ist man schließlich weniger allein. Es tat gut, mit meinen Geschwistern (zumindest 2/3) zusammen zu sein. Bei Yogi, meiner Katze zu sein. Geborgen zu sein. Frei zu sein.
Holunderblüten sammeln in Begleitung des dreifarbigen Mäusetöters. Den 92. Geburtstag meiner Oma zu feiern. Meine Eltern wieder zu sehen. In meinem alten Kinderzimmer zu liegen und einfach zu lesen.

Hitze

Wenn einen nicht die Menschen so anstarren würden – wenn man sich nicht so schämen würde – wenn es nur nicht so heiß wäre – wenn man nicht immer darauf angesprochen würde – wenn die Narben nicht so sonnenempfindlich wären – wenn andere Menschen nicht darüber lästern und lachen würden. 
Noch einmal ein Sommer ohne Narben.

Und nun?

You will never see
What’s inside of me

Eigentlich könnte ich meinen Beitrag wie den vom Montag beginnen. Alles geht den Bach runter. Die Erfolge die ich in der Klinik gemacht habe sind wie Kreidespuren auf der Straße nach einem Regenguss verschwunden. Die Farbe, die den Asphalt zierte ist dem Grau gewichen. Derzeit ist Dauerregen. Als ob ich das bemerken würde, ich liege ja nur noch im Bett.

Was there ever any question
On how much I could take?
You kept feeding me your bullshit
Hoping I would break
Is there anybody out there?
Is there anyone who cares?
Is there anybody listening?
Will they hear my final prayers?

Mit voller Wucht ist sie zurück. Diese Krankheit, die man Depression nennt. Langsam gehen mir die Ideen aus, wie ich dagegen antreten könnte. Meiner Meinung nach habe ich bereits alles Menschenmögliche versucht. Ich war in der Klinik. Ich hab Tabletten genommen (und davon nicht zu wenig). Ich gehe regelmäßig zur Psychotherapie. Ich habe kein Ass mehr im Ärmel, wie ich dagegen vorgehen könnte. Was ich noch machen könnte.
Abwarten. Durchatmen.
Am Montag ist der nächste Termin. Ich kann nur hoffen, dass ich es diesmal schaffe, darüber zu reden.