Die Wahrheit der Diary Card

Da liegen sie vor mir. Drei Diary Card (deutsch: Tagebuch-Karten), die Teil der DBT-Therapie sind. Dort trägt man seine Stimmung ein, die Stärke des Schneidedrucks oder der Suizidalität, ob man Bedarfsmedikamention gebraucht hat und was Positive Erlebnisse waren. Diese Karten führe ich jetzt schon drei Monate, die ich bei Locke DBT-Therapie mache.
Und wie sehen die Karten derzeit aus?
Natürlich gut. Weil meine Stimmung ziemlich gut ist. Ich habe keinen Druck, keine Suizidgedanken, nehme keinen Bedarf. Es ist einfach nicht notwendig. Es läuft einfach gut.
Morgen sieht Locke dann die Diary Cards der letzten drei Wochen, die sie im Urlaub war.
Gestern war ein ziemlich aufregender Tag. Früh war ich mit André in einem Spa, ein Geschenk meiner lieben D. Dort erwartete uns ein Frühstück, eine Massage und ein Saunagang. Es war wunderbar entspannend, man konnte richtig die Seele baumeln lassen.
Abends sind wir dann auf einen Mittelaltermarkt mit Konzerten gegangen. Dort fühlte ich mich pudelwohl und war sehr glücklich.
Die Tage vergehen und die Ausbildung rückt näher. Mit freudiger Erwartung warte ich. Auf die Tage, die alles verändern werden.

Ein offener Brief

Liebe Suizidgedanken,
Ich stehe am Gleis und der Zug fährt ein und nach so langer Zeit denke ich zum ersten Mal nicht mehr ernsthaft darüber nach, mich vor ihn zu stürzen.
Ich kann mehrere Tabletten in meinem Haushalt haben, ohne bei der täglichen Einnahme daran zu denken, sie alle auf einmal zu schlucken.
Ich schneide Zwiebeln mit einem meiner Küchenmesser, dabei verschwende ich keinen Gedanken daran, mir damit die Pulsadern aufzuschneiden.
Und auch wenn ein Polizist an mir vorbei läuft, schaue ich nicht instinktiv auf seine Waffe und überlege mir, wie ich sie entwenden könnte um mich hinzurichten.
Ich habe so viel Zeit in dich investiert. Tage und Nächte, Stunden um Stunden dachte ich an dich. Mit einer Mischung aus Angst, freudiger Erwartung, Hass, Liebe – all das empfand ich für dich. Gleichzeitig.
Du warst mir der rettende Anker auf stürmischer See. Wenn etwas nicht so lief, wie ich es mir vorstellte, dann war der Gedanke an dich meine Rettung aus der Flut von Gefühlen. Ich wurde selbstsicherer, es zu schaffen, wenn ich nur oft genug daran dachte – glaubte ich. Ich dachte mir, das die häufigen Gedanken an dich meine Entschlossenheit,  dir zu folgen verstärkten.
Dann kamen die Tage, an denen wir getrennt wurden.
Du warst mir auf einmal, plötzlich, fremd. Und das, obwohl ich mich so sehr nach dir verzehrte. Jeder Gedanke an dich war mir kostbar und heilig.  Ich dachte, ohne dich geht es nicht.
Dann kamen die Tage, an denen wir wieder zusammen fanden.
Und aus dieser Fremdheit hatte sich etwas entwickelt, was ich zuvor nicht von dir kannte. Du verlangtest so viel von mir. Ich war dir nicht mehr treu genug. Die Treue schwand, die Liebe, die Vertrautheit. Alles, was ich für dich empfand, war plötzlich anders.
Bis ich lernte, auch ohne dich auszukommen. Dieser Gedanke war erst wie eine kleine Flamme in meinem Inneren. Doch je öfter ich dich abwies, desto stärker glühte die Flamme in mir auf. Nun stehe ich vor dir und kann ein für alle mal sagen, dich nicht mehr zu brauchen.
Ich verlasse dich.
Für das Leben.
Es grüßt dich,
Anna

Übung

Übung macht bekanntlich den Meister. Das trifft für mich in zweierlei Hinsicht zu. Zum einen beim reiten. Gestern waren wir, Laura und ich, wieder in Weißig bei den Isländern. Ich bin Pipar, einen Rappwallach, geritten, den ich von meiner ersten Reitstunde kannte. Er ist im Gegensatz zu Palli ein ruhiger Geselle. Sein Tölt ist beinahe Schrittempo und sehr ausgeglichen. Hoffentlich kann ich nächste Woche wieder den etwas schnelleren Palli reiten. Dennoch war das reiten schön. Ich merke, wie ich langsam wieder rein komme, wie der Umgang leichter fällt, das reiten besser klappt und ich allgemein zufriedener bin.
Katzendienst war heute morgen das letzte mal. Eine andere Art der Übung. Durch Dresden touren, Schlüsselübergabe an Fremde, reagieren auf Einflüsse. Lernen mit Stress im Nacken umzugehen. Übung für die Ausbildung. Umgang mit Menschen. Umgang mit Stress.
Heute ist Geburtstagsfeier in Leipzig. Meine älteste Schwester feiert ihren 30. Geburtstag. Wird schön.

So kann es bleiben

Die Tage vergehen und ich befinde mich im Rythmus der Welt. Ich höre das sanfte Atmen, wenn die Stadt erwacht, spüre das pulsierende Herz, wenn die Nacht beginnt. Lebend, taumelnd, hoffend. Die Tage vergehen und ich warte. Auf die Ausbildung. Auf etwas, was meine Welt ins Wanken bringen wird. Ich weiß, das sich viel verändern wird. Aber ich kann nur abwarten, sehen wie es läuft. Und dann ein Urteil fällen.
Mir geht es gut. Wie lange habe ich das nicht mehr gesagt? Wie lange war ich nicht mehr zufrieden? Wie lange muss ein Mensch leiden, damit er irgendwann einmal wieder zur Ruhe kommt – innerlich, wie äußerlich.

Das Schlüssel-Missgeschick

Ich suche noch nach einem coolen Einstiegssatz, aber mir fällt keiner ein.
Deswegen hier eine Beschreibung schrecklich profaner Dinge, dem Alltag, dem Ende der Welt und Allerlei dazwischen.
Von Mittwoch bis Sonntag hab ich Katzendienst. Das heißt ich füttere und spritze einer diabeteserkrankten Katze Insulin in einer fremden Wohnung. Heute morgen um 7 Uhr aufgestanden, angezogen, mit dem Bus zur Mieze gefahren. Gefüttert, gestreichelt, gespritzt. Möchte los gehen – auf einmal bricht der Schlüssel zur Wohnung in der Mitte und ragt aus dem Schloss raus.
Da war guter Rat teuer.
Also André angerufen, um zu fragen was ich machen kann. Sind zusammen zum Schlüsseldienst – Nachmachen des Schlüssels unmöglich.
Panik. Was wird aus der Katze?
Besitzer informiert…Stunden später die Antwort: am Ende von Dresden gibt’s bei einer anderen Katzensitterin noch einen Ersatzschlüssel. Tausend Steine fielen mir von Herzen.
Also nach Mebritz gefahren, Schlüssel abgeholt, zurückgelaufen – Katze versorgt.
Am Samstag muss ich den Schlüssel wieder abgeben…wieder nach Mebritz laufen…fertig…

Pro und Contra

Die Frage in der Krise. Schneiden oder nicht schneiden? Suizid oder überleben? Kämpfen oder aufgeben? Das war die Frage, die am Montag zusammen mit Locke behandelt wurde. Wir schmiedeten nicht nur den Plan, wie ich ihren Urlaub gut überstehe, sondern machte eine Pro und Contra-Liste für selbstverletzendes Verhalten. Und im Gegensatz dazu auch für Skills. Deutlich zeigte sich, das kurzfristig Selbstschädigung hilft den Druck zu reduzieren, aber langfristig nur Nachteile mit sich bringt. Skills hingegen helfen nicht sofort gegen den Druck, sind aber langfristig hilfreich. Das sollte sich jeder Betroffene klar machen.
Gestern war ich dann noch bei der Psychiaterin. Die Tabletten bleiben erst mal so niedrig wie sie derzeit sind. Mhm. Weiß nicht, ob das gut ist oder eher nicht. Aber derzeit geht es mir eigentlich recht gut. Dank dem Antipsychotika.
André hat Urlaub, sodass wir tagsüber was gemeinsam machen können. Heute waren wir in der Stadt bummeln, morgen kommt er zum Reiten mit. Ich freue mich schon wieder drauf. Im Tölt sieht die Welt eben ganz anders aus.

Wo mein Herz lebt

Dieses Wochenende war geprägt von in der Sonne liegen, lachen, Geselligkeit und Musik.
In der Heimat, am Fuße des Gebirges. In der Heimat, bei den Katzen, Pferden, Schafen. In der Heimat, wo die Hollywood-Schaukel und der Grill auf der Terrasse steht. In der Heimat, wo mein Herz lebt.
Und nun sitze ich wieder in meiner Wohnung. Und höre dem Regen zu, wie er an mein Fenster schlägt. Habe mich gewaschen und die Haare gemacht. Und denke zurück, denke daran, wie es ist, wenn die Heimat ruft.

And I think it’s gonna rain today…

Alltagspsychologie

Ich bin mittlerweile seit durchgängig fünf Jahren in Therapie. Und wenn ich ein Resümee ziehe, wird mir klar, wie abhängig ich von Gesprächstherapien bin. Mittlerweile kann ich mir nicht mehr vorstellen, was ein „normaler“ Mensch macht, wenn er vor einer wichtigen Aufgabe steht, Stress hat oder etwas Neues ansteht. Man kann mit Freunden, Familie, Bekannten darüber reden, ich weiß. Das mache ich zum Teil ja auch so. Aber wer gibt einem die ausreichende seelische, aber dennoch neutrale Hilfestellung? Vielleicht sind gesunde Menschen in der Lage, sich selbst so weit auszugleichen. Das, was ich noch nicht kann. In einer Krise wieder aus dem tiefen Loch heraus finden, neuen Mut schöpfen, weiter machen. Krise bedeutet für mich, wieder am Anfang starten, erst einmal aus dem Loch heraus geholfen werden. Und dann einige Schritte an der Hand laufen, bis man wieder selbst laufen gelernt hat.
Heute war ich wieder bei Locke. Dank einem Straßenbahnausfall bin ich zu spät gekommen, was mir irrsinnig peinlich war. Wir haben vor allem über die Ängste geredet, dass Andere über mich reden und lästern. Das ist beim Reiten gerade sehr aktuell. An der Bande sitzen immer andere Reitermädels und ich hasse ihr flüstern, kichern, reden. Ich kann mich dann gar nicht mehr auf das Pferd und die Lektion konzentrieren.
Außerdem haben wir einen Schlachtplan entworfen, wenn sie im Urlaub ist. Nächste Woche habe ich noch mal einen Termin und dann zwei Wochen nicht mehr. Hilfe, seit einem Jahr hatte ich schon keine Therapiepause mehr. Das macht mir auch wieder Angst. Aber ich kann zur Not, in der Krise, immer in die PIA kommen. Das ist gut.
Eigentlich hätte ich heute zur Psychiaterin gemusst, aber die hatte nach ihrer Pause wieder ihren ersten Tag und sehr viel Stress. Ich hätte noch anderthalb Stunden warten müssen. Deswegen hab ich sie entlastet und bin nach Hause gegangen. Nächste Woche Dienstag ist dann der Termin.

Durchblick

Irgendwie ist gerade ziemlich viel Chaos in mir, um mich. Ich habe viele Termine und muss mein Leben eintakten, muss planen, vorausschauen. Ungewohnt. Wo ich doch sonst mit der Tagesstruktur sehr zu kämpfen habe.
Gestern war ich bei einem Termin in der Kontakt- und Beratungsstelle für psychisch Kranke. Die Sozialarbeiterin möchte mir helfen, bis zur Ausbildung klar zu kommen und nachzufragen, wie es nun mit dem ABW aussieht. Möglicherweise werde ich mir einige Stunden „geplant“ einkaufen, also selbst bezahlen, um wichtige Dinge zu erledigen, die ich alleine noch nicht schaffe. Soweit der Plan.
Auch war ich gestern wieder mit Laura reiten. Es war für mich das erste Mal im Tölt, einem Gang, den nur wenige Pferderassen beherrschen. Es war ungewohnt, aber nach kurzer Eingewöhnungszeit echt schön.
Ein kleines Fazit zur Medikamenteneinahme: ich habe bisher, einer Erinnerungs-App sei Dank, meine Medis wieder regelmäßig genommen. Und ich bemerke schon Unterschiede. Durch das Olanzapin bin ich viel ruhiger und weniger ängstlich-misstrauisch und schlafe auch deutlich besser. Nachtängste und Halluzinationen sind auf ein Minimum reduziert. Das Depressive ist dennoch noch da, aber ich habe auch noch eine recht geringe Dosis Venlafaxin. Das könnte also noch erhöht werden. Am Montag habe ich nicht nur ein Gespräch mit Locke, sondern auch einen Arzttermin, hoffentlich wieder bei meiner Ärztin und nicht der Vertretung, dem Oberarzt.

Hoffnung?

Wie hier beschrieben, hatte ich wenig Hoffnung darauf, dass die ABW-Kostenerstattung übernommen wird. Aus dem einfachen Grund, weil ich nicht die maximale Rücklage einhalte.
Heute jedoch flatterte ein Brief ins Haus, auf dem der Antrag nicht abgelehnt wurde. Sondern nur ans Jugendamt weitergeleitet wurde, die womöglich die Kosten übernehmen. Daumen drücken, dass das klappt!
Gestern, bei der Hitze, wurde im Übrigen nicht geritten. Das wäre Tierquälerei. Stattdessen wuschen wir die Pferde mit kaltem Wasser ab, striegelten und putzten sie und ließen sie dann auf die Weide. Danach gab es Theorieunterricht, indem wir die Gangarten behandelten. War dennoch schön, bei den Isländern zu sein.